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Annauds „Der letzte Wolf“ – Großer Aufwand, wenig Biss

Trotz großen Aufwandes bei den Tieraufnahmen bleibt der Film erstaunlich inhaltsleer. (Foto: Universum Film)

„Was hat man Euch Städtern in der Schule beigebracht?“ Offenbar nicht viel über das Leben in der Inneren Mongolei. 1967, im zweiten Jahr der chinesischen Kulturrevolution, sollen die Studenten Chen Zhen und Yang Ke den Menschen in der Mongolei die chinesische Kultur näher bringen. Ohne wirklich zu wissen, was sie erwartet.

Fasziniert von der weitläufigen unberührten Natur und dem Leben der Menschen wird für Chen Zhen sein schwerer Koffer mit Büchern schnell zur Nebensache. Brigadeführer Billig ist von den jungen Männern wenig begeistert, was er nicht nur mit dem eingangs erwähnten Zitat zum Ausdruck bringt. Wissen diese Städter noch nicht einmal wofür die Stöcke gut sein sollen, die er ihnen bei der ersten Begegnung überreicht. In der Mongolei leben die Menschen mit der Natur im Einklang und wissen nicht nur ihre Schönheit zu schätzen, sondern kennen auch ihre überaus raue und gefährliche Seite, die sich vor allem in Gestalt der Wölfe zeigt. Zhens anfängliche Angst weicht einer Faszination für das Leben dieser ungezähmten Tiere.

Drei Wolfsgenerationen nur für die Dreharbeiten aufgezogen

Um diese Faszination für die Leinwand umzusetzen und für den Zuschauer lebendig werden zu lassen, hat Regisseur und Drehbuchautor Jean-Jacques Annaud keine Kosten und vor allem Mühen gescheut. Über zwei Jahre zog der kanadische Tiertrainer Andrew Simpson drei Wolfsgenerationen auf und trainierte sie – mit beeindruckendem Ergebnis. Ein ums andere Mal rückt die Kamera den Wölfen dermaßen nah auf den Pelz, dass man sich fragt, ob es echte Tiere sind, die wir so nah vor der Kamera agieren sehen. Schließlich ist es kein Dokumentarfilm über Wölfe, den wir hier sehen, sondern ein Spielfilm, dem ein ausgefeiltes Storyboard zugrunde liegt. Die Tiere mussten am Set auf Kommando agieren, aber gleichzeitig wie wilde Tiere wirken. Um dieses Ziel zu erreichen, durften die Wölfe während der Aufzucht unter anderem nicht gestreichelt werden. Zu viel Nähe wäre für die benötigte Wildheit zu viel gewesen. Eine zeitaufwendige und schwierige Aufzucht, die sich gelohnt hat. In Hollywood hätten sie sicher zur Computeranimation gegriffen, was aus Sicht von Annaud ein Unding gewesen wäre. Niemals wäre ein so nachdrückliches Erleben für den Zuschauer entstanden.

Zartbesaiteten Tierfreunden kaum zu empfehlen

Freilich kommt auch Annauds Inszenierung nicht ohne technische Kniffe aus. Diese beschränken sich überwiegend auf Mehrfachbelichtungen oder das nachträgliche Entfernen von Menschen, die während der Dreharbeiten Tiere beaufsichtigten oder Zäune, die Tiere voneinander trennten. Für einige besonders drastische Szenen griff das Team auf animatronische Wölfe und letztlich dann doch auf am Computer erzeugte Wölfe zurück, um kein Tier bei den Dreharbeiten zu gefährden. Trotz wunderschöner Aufnahmen der wilden Tiere in einer atemberaubenden Landschaft, ist der Film zartbesaiteten Tierfreunden kaum zu empfehlen. „Der letzte Wolf“, der auf dem im Jahr 2004 erschienenen Bestseller „Der Zorn der Wölfe“ von Lü Jiamin basiert und in China nach der Mao-Bibel das bis heute auflagenstärkste Buch ist, trägt seinen Titel nämlich zurecht. Weil im Osten Chinas die Menschen hungern, muss die Mongolei als Fleischlieferant dienen. Bao Shunghi, der von Peking eingesetzte Verwalter der Weiden, lässt dies ohne Rücksicht auf den aus Sicht der Einheimischen so wichtigen Einklang mit der Natur umsetzen. Mit fatalen Folgen, so dass es schließlich zum Zorn der Wölfe kommt. Ein Zorn, der sehr dicht inszeniert ist und explizit brutale Szenen nicht ausspart.

Trotz großen Aufwandes erstaunlich inhaltsleer

Erstaunlich, dass trotz eines großen Aufwandes bei den Tierszenen und Naturaufnahmen der Film über weite Strecken inhaltsleer wirkt. Annaud schafft es nicht, das Leben der Wölfe mit dem der Menschen zu einer Einheit zusammenzufügen. Viel Potential verschenkt er bei der bewegenden Hauptfigur Chen Zhen, der einen Wolfswelpen fängt, um ihn zu studieren und sich schließlich in diesen verliebt. Einzig für die Beziehung zwischen Billig und Zhen nimmt sich Annaud mehr Zeit, aber auch diese dient letztlich nur als Vehikel für die Tieraufnahmen. Hinzu kommen oberflächliche, belanglose Dialoge, die den Figuren keine Tiefe verleihen können, so dass der Zuschauer an deren Schicksal wenig Anteil nimmt. Selbst als ein Kind aufgrund einer Verletzung, die ihm Zhens Wolf zugefügt hat, zu sterbenden droht, nehmen wir kaum Anteil. Gehetzt wirkt das alles. Gesehen und schnell weiter zu den Wölfen. Wären solche Zwiespalte, in die Zhen nur aufgrund seiner Liebe zu dem Wolf gerät, sorgfältig ausgearbeitet worden, so hätte „Der letzte Wolf“ ein großartiger Film werden können. Hätte und könnte. Letztlich reduziert Annaud ihn so unnötig auf einen Tierfilm mit Spielfilm-Ambitionen. Brigadeführer Billig bringt mit seiner Anklage an Zhen zum Ausdruck, was auf der Leinwand möglich gewesen wäre: „Du hast Gott gefangen und ihn versklavt. Du hast Dich und alle Mongolen beleidigt.“

Der letzte WolfBewertung 3 von 5 Punkte

Der letzte Wolf
Le dernier loup
China, Frankreich 2015

Dt. Heimkinostart 11. März 2016
Länge 114 Minuten
Regie Jean-Jacques Annaud
Darsteller Shaofeng Feng, Shawn Dou, Ankhnyam Ragchaa, Yin Zhusheng, Basen Zhabu, Baoyingexige
Sprache Chinesisch, Mongolisch, Deutsch (DD 5.1)

Kategorie: Angeguckt, Film & TV

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In einer Ramsch-Kiste mit Taschenbüchern wurde ich, gerade mal 10 Jahre alt, fündig. Das – wie ich im Nachhinein feststellte – inkompetenteste Film-Nachschlagewerk dieser Erde, „Das Lexikon des Science-Fiction-Films“ von Roland M. Hahn, weckte mein Interesse für bewegte Bilder. Ich „zerlas“ es völlig (und auch seine nicht weniger missratenen Nachfolger über die Genres „Fantasy“ und „Horror“). Echtes Interesse für die Pop- und Rockmusik kam dagegen erst Jahre später – mit der ersten eigenen kleinen Hifi-Anlage und der CD „The Road to Hell“ von Chris Rea.

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