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Der Goldene Handschuh – Schocker auf der Berlinale

(Foto: Warner)
Fritz Honka (Jonas Dassler) mutiert zur Bestie. (Foto: Warner)

Eigentlich ist Star-Regisseur Fatih Akin nicht für Skandale bekannt, und doch erregte er mit seinem ersten Horror-Film „Der Goldene Handschuh“ mächtig Aufsehen auf der diesjährigen Berlinale.

Der Film nach dem Erfolgsroman von Heinz Strunk erzählt die Geschichte von Serienmörder Fritz Honka, der in den 70er Jahren in diversen Spelunken auf der Hamburger Reeperbahn, überwiegend in der Kneipe „Zum Goldenen Handschuh“, verkehrte. Insgesamt vier Frauen, alle aus dem Prostituiertenmilieu, fielen dem Mörder zum Opfer, der die Leichen zum Teil zerstückelte und die Teile in seiner Wohnung aufbewahrte. Nur durch einen Brand, bei dem die Leichenteile entdeckt wurden, konnte Honka dingfest gemacht werden. Bereits die Romanvorlage sorgte für Aufsehen und war sicher kein leicht zu lesendes Buch, ebenso wie Akins Verfilmung ganz sicher kein Popkornkino und durchaus starker Toback ist – vermutlich ein Grund, weshalb es gar nicht so einfach war, ein Kino zu finden, das den Film zeigt und ich aus dem Sauerland bis ins UCI-Kino in Bochum fahren musste, um ihn sehen zu können (das war allerdings schon in der zweiten Aufführungswoche, so dass es sein kann, dass er in einigen Theatern zwar gelaufen ist, jedoch schnell wieder abgesetzt wurde).

Eine Offizierin der Heilsarmee möchte die Prostituierten im Goldenen Handschuh auf den rechten Weg bringen. (Foto: Gordon Timpen)

Eine Offizierin der Heilsarmee möchte die Prostituierten im Goldenen Handschuh auf den rechten Weg bringen. (Foto: Gordon Timpen)

Dabei stellt das Werk für denjenigen, der sich darauf einlässt, ein durchaus eindrückliches Erlebnis dar, das den Dreck und Gestank dieser Vorhölle, die sich aus der muffig-verrauchten Kneipe, der hoffnungslos versifften Wohnung Honkas und einem heillos skurrilen Panoptikum von Alkoholwracks, die längst am alleruntersten Ende der Gesellschaft angelangt sind, zusammensetzt, geradezu körperlich fühlbar macht. Auf technischer Ebene ist der Film brillant: Die Innenräume des „Goldenen Handschuh“, der noch heute auf der Reeperbahn existiert, wurden ebenso wie Honkas Wohnung bis ins Detail nachgebaut – der Vergleich zu den Original-Fotos der Handlungs- und Tatorte zeigen die erstklassige Arbeit von Szenenbildner Tamo Kunz, der in Zusammenarbeit mit Kameramann Rainer Klausmann eine geradezu oskarreife Leistung vollbrachte. Die schummrige Ausleuchtung der rauchigen Kneipe und die grobkörnigen Bilder der verlorenen Seelen, die sich in ihr tummeln, hinterlassen einen bleibenden Eindruck.

Im Goldenen Handschuh werden tiefsinnige Gespräche geführt. (Foto: Warner)

Im Goldenen Handschuh werden tiefsinnige Gespräche geführt. (Foto: Warner)

In der Milieuzeichnung und dem Kabinett an skurrilen Charakteren, unter anderem dargestellt von dem bekannten deutschen Regisseur Hark Bohm als knautschiger Dornkaat-Max oder dem großartigen Dirk Böhling, der als Soldaten-Norbert tatsächlich für ein paar bittere Schmunzler im trostlosen Geschehen sorgt, liegt die zweifelsfreie Stärke des Films, obwohl man Regisseur Fatih Akin sicherlich vorwerfen kann, es manchmal ein wenig zu übertreiben mit der Schrulligkeit. Dadurch gibt er beizeiten seine Figuren einem gewissen Voyeurismus preis, der auch schon mal die Grenze zur Lächerlichkeit überschreiten kann. Mit dem erst 23-jährigen Hauptdarsteller Jonas Dassler, der es als Serienmörder Fritz Honka trotz der ihn völlig entstellenden Maske auf furiose Weise hinbekommt, sich als Schauspieler ausreichend Raum für die Darstellung dieses unglücklichen Individuums zu verschaffen, ist Fatih Akin ein absoluter Glücksgriff gelungen, obwohl sicher die meisten den sympathischen Schauspieler völlig ohne Maske niemals in dieser Rolle gesehen hätten. Dassler ist es auch, der die fragwürdige Entscheidung Akins, die unglückliche Kindheit und Jugend Honkas nahezu völlig auszuklammern, auswetzt und den Serienmörder in einigen Szenen trotz seiner Untaten als menschliches Wesen wirken lässt.

Regisseur Fatih Akin bei den Dreharbeiten. (Foto: Warner)

Regisseur Fatih Akin bei den Dreharbeiten. (Foto: Warner)

Den Vorwurf mancher Kritiker, dass der Film aufgrund der fehlenden tragischen Vorgeschichte die Hauptfigur vollends als eindimensionales Monster präsentiert, kann man deshalb so nicht stehen lassen. Dem ernsthaften Versuch Honkas, durch einen kalten Entzug vom Alkohol runterzukommen und einen Job als Wachmann anzunehmen, wird ausführlich Raum gegeben, und zumindest einige Momente, in denen er einen Anflug von Mitgefühl für jene Frauen, die er später vergewaltigt und teilweise bestialisch ermordet, aufbringt, sind ebenfalls vorhanden. Dassler schafft es, auch diese ruhigeren Szenen glaubwürdig rüberzubringen. Ebenfalls nicht zu halten ist der oft gehörte Vorwurf, dass Akin alle Greueltaten Honkas bis ins Detail ausschlachtet, die Kamera bei den Morden immer „draufhält“. Vielmehr sind zum Beispiel die Zerstückelungen niemals im Bild zu sehen – ähnlich wie bei Tobe Hoopers Horror-Klassiker „Texas Chainsaw Massacre“ überlässt es Akin fast immer dem Zuschauer, die Greuel im Kopf entstehen zulassen. Lediglich eine Strangulationsszene wird recht detailreich gezeigt, was jedoch dramaturgisch begründet ist. Das Opfer, eine ehemalige KZ-Insassin, kämpft hier verzweifelt und qualvoll lange um ihr Leben, wobei der Regisseur sein Ansinnen durchsetzt, Gewalt als genauso schmutzig und abstoßend darzustellen, wie sie ist, und nicht, wie in vielen Hollywoodfilmen üblich geworden, zur Gaudi verkommen lässt. Trotz dem einen oder anderen zumindest fragwürdigen Aspekt der Verfilmung von Heinz Strunks Erfolgsroman sollte es in Deutschland viel mehr solcher unbequemer und politisch unkorrekter Filme geben.

Zumindest wenn sie sich auf einem ähnlich hohen handwerklichen und schauspielerischen Niveau bewegen wie „Der Goldene Handschuh“.

Bewertung 4 von 5 Sternen

Der Goldene Handschuh
Deutschland 2019

Kinostart bereits angelaufen

FSK ab 18 Jahre

Darsteller Jonas Dassler, Margarethe Tiesel, Katja Studt, Hark Bohm u.a.

Regie Fatih Akin
Drehbuch Fatih Akin nach dem Roman „Der Goldene Handschu“ von Heinz Strunk
Länge ca. 110 Min

Kategorie: Angeguckt, Film & TV

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In einer Ramsch-Kiste mit Taschenbüchern wurde ich, gerade mal 10 Jahre alt, fündig. Das – wie ich im Nachhinein feststellte – inkompetenteste Film-Nachschlagewerk dieser Erde, „Das Lexikon des Science-Fiction-Films“ von Roland M. Hahn, weckte mein Interesse für bewegte Bilder. Ich „zerlas“ es völlig (und auch seine nicht weniger missratenen Nachfolger über die Genres „Fantasy“ und „Horror“). Echtes Interesse für die Pop- und Rockmusik kam dagegen erst Jahre später – mit der ersten eigenen kleinen Hifi-Anlage und der CD „The Road to Hell“ von Chris Rea.

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