Hagen, Musik, Nachgefragt, Regionales
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The Blue Angel Lounge über die Revolution der Gefühle

TBAL live beim Roskilde Festival 2013 in Dänemark. (Foto: Nils Laengner)

Hagens Kunst- und Kulturszene hat wenig zu bieten – so wirkt es auf den ersten Blick. Doch ein weiterer hinter die Fassade lohnt sich, so nennen doch immerhin vier von fünf Mitgliedern der Band The Blue Angel Lounge Hagen ihre Heimatstadt. Und deren Geister sind zumindest so frei, dass sie mit ihrer Musik eine recht spezielle, doch internationale Musiksparte bedienen. 2006 um Frontmann und Sänger Nils Ottensmeyer gegründet, bringt das Quintett 2008 auf eigene Kosten einen Langspieler heraus, der es auf Umwegen – oder doch durch Fortunas Geschick? – von Hagen nach Berlin in den Schoß des kleinen Szenelabels 8mm schafft. Das zweite Album Narcotica, die EP Ewig und mehrwöchige Tourneen durch Deutschland, Frankreich sowie entlang der West- und Ostküste Amerikas folgen. So sammeln The Blue Angel Lounge Bühnenerfahrung mit amerikanischen Erfolgsbands wie The Dandy Warhols, Interpol und The Brian Jonestown Massacre. Nach langen und dunklen Monaten im Studio tauchen The Blue Angel Lounge mit ihrer eben beendeten Europa-Tour und dem Release-Datum für das neue Album A Sea of Trees am 9. Mai 2014 wieder aus der Versenkung auf.

Frage und Antwort stehen mir Sänger Nils Ottensmeyer und Bassist Lenz Plonka.

Ihr kommt frisch von Eurer dreiwöchigen Europa-Tour zurück, welche tatsächlich 20 Gigs in sechs verschiedenen Ländern umfasst. Könnt Ihr einen kurzen Einblick in den Tour-Alltag geben?

Viel Auto fahren (zumindest für die, die einen Führerschein besitzen), du kommst bei der Location an, packst deinen Kram aus, Soundcheck, Essen, Show, wahrscheinlich ein paar Bier, Schlafen, Frühstück – wenn wir es mal schaffen – und das selbe Spiel wieder von vorne. Da fehlt meistens Zeit und Energie für Sightseeing und Urlaubsfeeling. Oft betrachtet man die Gegend nur aus dem Auto heraus. Allerdings bleiben hier auch wunderschöne und beeindruckende Erlebnisse im Gedächtnis: auf der letzten Tour zum Beispiel die Fahrt quer durch die Alpen oder durch die Toskana. Wenn man hier und dort eine Pause macht, ist man hinterher oft traurig, dass man nicht mehr Zeit hatte, um noch etwas zu verweilen.

Da unsere Aufenthalte schon sehr kurzlebig sind, ist es für mich persönlich (Lenz) meistens so, dass ich erst zu Hause beginne zu reflektieren. Da wird einem dann erst bewusst, was man so die letzten drei Wochen gemacht und geschafft hat. Und das ist definitiv ein sehr gutes, motivierendes Gefühl. Wie gesagt, viel Arbeit hinter den Kulissen, die der Besucher unserer Shows in der Regel nicht zu sehen bekommt.

Wenn auch Indie, Alternative und teilweise die Musik der 80er in den letzten Jahren mehr und mehr Beachtung im Mainstream finden und es selbst der Plattenspieler bei all dem Retro-Hype zurück in die Wohnzimmer geschafft hat, bewegt Ihr Euch mit Eurem dritten Album, welches sicheren Fußes in Richtung Wave und Post-Punk schreitet, immer noch stark in einer musikalischen Sparte. Welches Potential hat diese in Deutschland?

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Lead-Gitarrist Mel bei der Arbeit. (Foto: Nils Laengner)

Im Moment gibt es ja eine Art Post-Punk/New-Wave Revival. Das lässt sich sogar, wenn auch mäßig, in Deutschland spüren. Allerdings sind es immer noch ganz andere Musikstile, die wirklich in den Medien vertreten sind. Deutschrock und Pop in Form von Silbermond, Revolverheld und Juli ist in Deutschland weiterhin führend. Das Hauptproblem dieser „Sparte“ ist wahrscheinlich die Präsenz in den Musik-Medien, im Zeitalter von käuflichen Artikeln/Rezensionen usw. ist es nicht unbedingt einfach, eine große Masse an Leuten anzusprechen. Doch Qualität hat sich immer in Randsparten bewegt und das wird sich auch durch einen kurz auflodernden Trend nicht ändern. Daher ist auch der Grad der Erreichbarkeit einer gewissen Zuhörerschaft ziemlich stark begrenzt. Das Problem liegt wohl nicht darin, dass die Leute keinen Gefallen haben würden an dieser Art von Musik. Sondern daran, dass wir alle immer bequemer werden und uns keine große Mühe mehr geben, interessante Sachen auf eigene Faust zu erkunden oder überhaupt erstmal zu entdecken, und davon ist jeder in irgendeiner Weise betroffen. Der eine mehr, der andere weniger.

Steht es hoffnungslos um den deutschen Musikmarkt?

Was heißt hoffnungslos. Ist es jemals anders gewesen? Es gibt zwei gegensätzliche Motivationen Musik zu machen. Entweder man passt seine Musik einem möglichst großen Hörerspektrum an, um kommerziell erfolgreich zu sein. Das andere Extrem bildet die völlige Vernachlässigung von kommerziellen Strategien. Dabei wird eher auf Qualität und Eigenständigkeit gesetzt. Musik in diesem Sinne wird als Kunst verstanden. Die beste und nachhaltigste Kunst hat sich in der Geschichte der Menschheit zu Lebzeiten ihrer Schöpfer nur selten rentiert. Mozart starb mit 36 Jahren und war bettelarm. Seine Musik prägte die Klassik dennoch nachhaltig. In 200 Jahren wird wohl kaum noch jemand von Silbermond sprechen.


(vom neuen Album ‚A Sea of Trees‘)

Eure Songs befinden sich irgendwo zwischen schwerer Melancholie und tiefer Schönheit, dem Rückzug in das eigene Bewusstsein sowie einer packenden Ausstrahlung, einer distanzierten Kälte und gleichzeitig einer sagenhaften Energie und Stärke. Wenn auch fernab von jeder Massentauglichkeit, ist Eure Musik sehr selbstbewusst. Es scheint Euch mehr um die Empfindung als um den kommerziellen Erfolg zu gehen. Trefft Ihr damit das Lebensgefühl einer Generation, vielleicht sogar den Zeitgeist?

Das ist eine Frage, die der Hörer wohl am besten beurteilen kann. Unsere Musik trifft vielleicht einen ganz besonderen Teil von Menschen, die unter den heutigen Bedingungen in der Gesellschaft nicht immer zurechtkommen bzw. zurechtkommen wollen. Keiner von uns macht bewusst Musik, um irgendein allgemeines Lebensgefühl einzufangen oder bewusst einem Gefühl zu entsprechen. Emotionen und Neigungen scheinen oft nur noch oberflächlich eine Rolle zu spielen. Wir treffen vielleicht diejenigen, die sich nach ein wenig Melancholie, mehr Tiefe sehnen, die irgendwann in diesem Leben verlorengegangen zu sein scheint. Ganz nach dem Motto: Waiting for the moon.

Würdet Ihr Eure Musik demnach auf eine versteckte Art und Weise als Kritik an der Norm, vielleicht sogar als indirekte Gesellschaftskritik beschreiben?

Kunst und Kultur verlieren in Deutschland an Gewicht und müssen einer straff organisierten Gesellschaft weichen, die wenig Platz für Muße und Selbstreflexion lässt. Die Menschen haben nicht mehr die Zeit und Geduld, sich auf unübliche, anspruchsvolle Musik einzulassen. Die Angst vor dem persönlichen und wirtschaftlichen Scheitern lähmt viele. Kaum einer geht heute noch ein großes Risiko für die eigenen Sehnsüchte ein. Jede Art von Muße und inniger Auseinandersetzung sind in diesem Zusammenhang pures Gift. Musik dient in den meisten Fällen nur noch als Begleiterscheinung und soll zerstreuen. Eine tiefere Auseinandersetzung findet nicht statt. Wenn Du fragst, ob unsere Musik eine Art Gesellschaftskritik beinhaltet, kann ich (Nils) das in diesem Zusammenhang mit „Ja“ beantworten. Unsere Musik bedarf nämlich genau dieser Auseinandersetzung, um sie zu begreifen. Trotzdem sind wir keine Freunde direkter, verbaler Gesellschaftskritik. Wenn dann wird diese in unseren Texten bildlich und mehrdeutig verpackt. Wir streben eher eine Revolution der Gefühle an. Der Hörer soll über seine Sinne wieder zu sich selbst finden.

Bedeutet Musik – oder Kunst im Allgemeinen – für Euch eher Rückzug aus der Realität in die eigene Fantasie oder gibt Kunst durch ihre Fähigkeit zur Abstraktion die Wirklichkeit viel klarer wieder?

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Nils 2012 in Lille. (Foto: Nils Laengner)

In Bezug auf die vorangegangene Frage kann ich (Nils) beiden Ansätzen zustimmen. Durch unsere Musik vermitteln wir natürlich unterbewusst auch ein bestimmtes Lebensgefühl. Dies steht in vielerlei Hinsicht im Gegensatz zu bestimmten Entwicklungen in unserer Gesellschaft. In den Momenten, in welchen die Kluft nicht größer erscheinen könnte, bietet die Kreativität in Kunst und Musik schon ein geeignetes Rückzugsgebiet. Man baut sich eine Insel im Geiste, auf welcher man zeitweise verweilen kann.

Gleichzeitig hat die tiefe emotionale Auseinandersetzung auch einen bildenden Charakter. Man entwickelt eine Art distanzierte Rolle, die mit einem Fuß aus dem Kreis der Gesellschaft heraustritt, um diese von außen zu bewerten. Das ist mit Sicherheit ein großer Vorteil. Das kann aber auch dazu führen, dass man schlussendlich mit beiden Beinen außen steht und sich in der Isolation wiederfindet.

Als eine Band, die das Amateur-Niveau verlassen hat, doch insgesamt zu speziell ist, um von ihrer Musik zu leben, befindet sich Euer Erfolg irgendwo in der Schwebe. Wie geht Ihr mit diesem Lebensgefühl um?

Es ist zunächst ein sehr intensives Lebensgefühl. Das Leben an sich wird sehr, sehr intensiv wahrgenommen. Allerdings ist es durch extreme Höhen und Tiefen geprägt. Momentan befinden wir uns in einem schwierigen Zustand: Wir sind zu ambitioniert, um uns als bloße Hobbyband bezeichnen zu wollen, aber doch noch zu erfolglos, um davon leben zu können. Dieser Zustand nagt schon schwer an uns und macht auch häufig das Zusammenleben mit unseren Mitmenschen nicht immer ganz leicht. Wie kann man Verantwortung übernehmen, wenn man sich nicht einmal auf die eigene Situation verlassen kann? Diese Frage beschäftigt momentan sicherlich fast jeden von uns. Trotzdem ist es auf der anderen Seite jetzt schon unvorstellbar, was wir als Hagener Band erreicht haben. Wir haben drei Alben und eine EP produziert, waren zweimal auf Amerika-Tour, haben mit Brian Jonestown Massacre und den Dandy Warhols in den bekanntesten und größten Clubs gespielt. Wer kann das von sich behaupten? Darum versuchen wir auch immer mit Zuversicht in die Zukunft zu schauen, egal wie dicht und grau die Wolken gerade vorüberziehen.

Auf der Bühne zerfließt Ihr mit Eurer Musik zu einer Einheit, Eure Bühnenpräsenz lebt von Eurem Stil, Eurer Hingabe und Euren Bewegungen zur Musik, was Euch zu einer mitreißenden Live-Band macht. Andererseits steht und fällt Eure Musik mit dem Sound, welchen Ihr je nach Location und Tontechniker nicht beeinflussen könnt. Was macht also mehr Spaß? Musik konstruieren oder präsentieren? Studio oder Konzerte?

Für mich (Nils) fühlt sich ein Livekonzert mittlerweile an wie ein Fest der Emotionen. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, nach all den Problemen, den Rückschlägen trotzdem wieder auf der Bühne zu stehen und eine gute Show abzuliefern. Es fühlt sich für mich an wie ein zelebriertes, emotionales Aufbäumen gegen all diese negativen Aspekte und mit steigendem Alter auch gegen gesellschaftliche Zwänge. Man verlangt dies und jenes von uns. Wir sind aber immer noch hier und spielen unser Konzert im Schwebezustand. Es ist ein wunderbares Gefühl. Alles kommt zusammen.

Trotzdem macht es andererseits auch Spaß, an neuen Songs zu arbeiten, sich selbst noch einmal herauszufordern, sich weiterzuentwickeln, um so dem persönlichen Stillstand entgegenzuwirken. Momentan bildet sich der perfekte Zustand aus einer Kombination aus beidem.


(live beim Roskilde Festival 2013 in Dänemark)

Gibt es so etwas wie ein bandinternes Highlight auf Eurem Weg durch die Weltgeschichte, auf Tour, im Studio?

Auf unseren beiden Amerika-Touren war es zum Beispiel sehr beeindruckend, das erste Mal die Skyline von New York mit eigenen Augen zu sehen, oder auch die sich permanent verändernden Landschaften. Wir durchquerten neben Wüsten- und Gebirgslandschaften auch den Yellowstone National Park mit seinen einzigartigen Geysiren und Seen. Unvergesslich werden wohl auch die Konzerte im legendären ‚Fillmore‘ (San Francisco) und im ‚Wiltern‘ (LA) bleiben. Hier traten wir vor einigen 1000 Menschen auf. Auf unserer letzten Tour spielten wir unter anderem im ‚UT Connewitz‘ in Leipzig. Der alte ursprüngliche Kinosaal zählt wohl zu den schönsten Läden, in denen man in Europa performen kann. Gepaart mit der wunderbaren Stadt Leipzig war dies ein großartiges Erlebnis. Für mich persönlich (Nils) stellt unsere neue Platte ‚A Sea of Trees‘ ein weiteres Highlight dar. Wir haben soviel Herzblut, Wut und Geduld in dieses Werk gesteckt, dass ich es gar nicht mehr erwarten kann, es endlich in den Händen zu halten.

Ihr seid junge Typen in der zweiten Hälfte Eurer Zwanziger. Eine Prognose für die Zukunft: Wo seht Ihr Euch als Band in 20 Jahren, wo seht Ihr Eure Musik?

Ich (Nils) wache eines Morgens nach einer turbulenten Aftershowparty verkatert auf und unser Drummer pisst noch immer volltrunken in die Stiefel unseres Managers. Aber ich lächle nur und denke mir, irgendwie ist gerade doch alles voll okay. Was die Zukunft bringt? Wir wissen es nicht.

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In einer Ramsch-Kiste mit Taschenbüchern wurde ich, gerade mal 10 Jahre alt, fündig. Das – wie ich im Nachhinein feststellte – inkompetenteste Film-Nachschlagewerk dieser Erde, „Das Lexikon des Science-Fiction-Films“ von Roland M. Hahn, weckte mein Interesse für bewegte Bilder. Ich „zerlas“ es völlig (und auch seine nicht weniger missratenen Nachfolger über die Genres „Fantasy“ und „Horror“). Echtes Interesse für die Pop- und Rockmusik kam dagegen erst Jahre später – mit der ersten eigenen kleinen Hifi-Anlage und der CD „The Road to Hell“ von Chris Rea.

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