Kultur, Oper und Operette
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Inszenierung der Verdi-Oper Don Carlos beeindruckt in Lüdenscheid

(Foto: Björn Othlinghaus)
Rodrigues Ende fällt blutig aus. (Foto: Björn Othlinghaus)

Wie lange ist es her, dass im Lüdenscheider Kulturhaus einmal eine große Opernproduktion zu sehen war, und das sogar in Form einer weltweiten Premiere?

Hat es so etwas überhaupt schon einmal gegeben, jenseits von Tour-Theater-Premieren von Boulevard-Stücken oder altmodischen, mit bunten Kostümen in pseudo-historischen Kulissen auf reine Unterhaltung getrimmten Operetten-Produktionen? Mag sein, dass dem so ist, erinnern kann zumindest ich mich nicht daran.

Tenor Raymond Sepe als Don Carlos. (Foto: Björn Othlinghaus)

Tenor Raymond Sepe als Don Carlos. (Foto: Björn Othlinghaus)

Schon aus diesem Grund war Bernd Schmitts freie Verdi-Adaption „Don Carlos – corridors of power“, bei der es sich um eine Kooperation des Landesjugendorchesters NRW mit dem von Mezzosopranistin Cornelia Lanz gegründeten Verein „Zukunft Kultur“ handelt, ein echtes Ereignis für die Lüdenscheider Kulturszene, auch und gerade weil sie dem Zuschauer, insbesondere in der ersten Hälfte der Inszenierung – bezogen auf die Interpretation einiger kühner Regieeinfälle – nicht nur eine harte Nuss zu knacken gab, deren Schale manch einer vielleicht sogar, trotz einer anschaulichen Einführung des Regisseurs im Vorfeld, während des gesamten Abends nur schwer überwinden konnte. Doch der hohe Anspruch, gepaart mit visueller Opulenz, hochklassigen Solisten und beträchtlichen Schauwerten machte die Produktion inmitten des bislang auf der Kulturhausbühne gezeigten zu etwas besonderem und auch für Menschen, die wenig oder gar keine Opernerfahrung haben, enorm spannend. Der Regisseur entschied sich nicht für eine der vielen existierenden Fassungen der Oper, sondern stellte sich in die Reihe jener Theater, die sich die Mühe machen, eine Mischfassung zu konzipieren. Unter anderem verzichtete Schmitt auf den ersten Akt sowie auf die gängigere italienische Sprachfassung zugunsten der französischen.

Prinzessin Eboli (Cornelia Lanz) gibt sich als Elisabeth aus, um Don Carlos (Raymond Sepe) nahe zu sein. (Foto: Björn Othlinghaus)

Prinzessin Eboli (Cornelia Lanz) gibt sich als Elisabeth aus, um Don Carlos (Raymond Sepe) nahe zu sein. (Foto: Björn Othlinghaus)

Der Zwiespalt der menschlichen Natur – einerseits das empathische, sich nach Zuneigung sehnende Wesen, andererseits der immer wieder durchscheinende Drang, Intrigen zu spinnen und Probleme mit Gewalt zu lösen – ist ein Thema sowohl des Schiller-Dramas als auch der auf der Grundlage dieses Werkes komponierten Verdi-Oper, die Regisseur Schmitts Inszenierung, gepaart mit Birgit Angeles opulenter Ausstattung, in die heutige, krisengeschüttelte Zeit überträgt. Das überdimensionale Rehkitz als Ausdruck des liebenswerten und unschuldigen, erzeugt durch erstklassige Projektionstechnik, die nicht nur jedes einzelne Haar des Fells erkennen, sondern das Tier blinzeln, weinen und atmen lässt, steht einem hölzernen, blutbesudelten Panzer gegenüber, dessen Kanone die Akteure nicht nur in wichtigen Szenen permanent verfolgt, sondern im weiteren Verlauf der Aufführung auch als Don Carlos‘ Verlies dient, in das ihn Prinzessin Ebolis Intrigen aus verschmähter Liebe führen und aus dem das Geschehen mit einer Live-Kamera wiederum auf das Reh projiziert wird, dessen dann weiße Projektionsfläche beizeiten auch für vorproduzierte, die Aussage der Handlung unterstützende Videoeinspieler als Leinwand dient.

Ein überdimensionales Rehkitz steht im Mittelpunkt des Bühnengeschehens. (Foto: Björn Othlinghaus)

Ein überdimensionales Rehkitz steht im Mittelpunkt des Bühnengeschehens. (Foto: Björn Othlinghaus)

Die Charaktere der Inszenierung sind vielschichtig und glänzen ganz überwiegend gesanglich wie schauspielerisch, so dass es der oft spektakulären und durchaus reizvollen Visualisierung ihres Innenlebens gar nicht unbedingt bedurft hätte. König Philippe (Simon Stricker) ist ganz der in Leder gewandete, um seine Macht besorgte Macho, Mezzosopranistin Cornelia Lanz als Prinzessin Eboli, die die unerfüllte Liebe zu Don Carlos zu einer zerrissenen, intriganten und innerlich hässlichen Person werden lässt, wurde die untere Gesichtspartie mit einer Jokerhaften Maske schwarz gefärbt. Don Carlos (Tenor Raymond Sepe) kommt als tragischer, weltfremder, oft ein wenig grimmig wirkender Clown daher, im hellblauen Clownskostüm mit Rüschen, roten Bommeln und inmitten seines Gefängnispanzers lethargisch mit einem roten Luftballon spielend, während Königin Elisabeth (Kristin Ebner) im knallroten, opulenten Ballkleid besticht, das ihre leidenschaftliche, aber auch selbstbewusste Natur herausstellt.

Rodrigue (Vladislav Pavliuk) und Don Carlos (Raymond Sepe). (Foto: Björn Othlinghaus)

Rodrigue (Vladislav Pavliuk) und Don Carlos (Raymond Sepe). (Foto: Björn Othlinghaus)

Gerade auf rein visueller Ebene ist die Inszenierung eine wahre Pracht. Aufmerksamen Zuschauern entgeht darüber hinaus nicht, dass Rodrigue (Vladislav Pavliuk), Don Carlos Freund, manchmal mit grell geschminkten Lippen oder gar mit Stöckelschuhen auf den Plan tritt. Ist dies als ein Hinweis zu verstehen, dass Rodrigues Freundschaft zu Don Carlos, die dieser mehr als einmal misstrauisch in Zweifel zieht, möglicherweise aus Rodrigues Sicht nicht nur platonischer Natur ist und diesen homoerotischen Neigungen auch sein späterer, besonders blutig und gewaltsam dargestellter Tod, quasi als „Strafe“ einer intoleranten Gesellschaft, geschuldet ist? Handelt es sich um einen Hinweis auf die homophoben Tendenzen und die daraus entstehende Gewalt gegen Homosexuelle, die, längst überwunden geglaubt, heute verstärkt wieder in vielen Ländern, unter zahlreichen rechtsgerichteten Regierungen sowie in ebensolchen Parteien und Organisationen, offen zutage tritt?

Elisabeth (Kristin Ebner) und Don Carlos (Raymond Sepe). (Foto: Björn Othlinghaus)

Elisabeth (Kristin Ebner) und Don Carlos (Raymond Sepe). (Foto: Björn Othlinghaus)

All diese vielen Möglichkeiten und Ansatzpunkte zum Nachdenken und zur Interpretation machen die Adaption für denjenigen, der sich darauf einlässt, besonders spannend und unterhaltsam, auch wenn manche Entscheidungen des Regisseurs, zum Beispiel das berühmte Autodafé durch Don Carlos einfach absagen zu lassen, es jedoch durch ABBAs „Thank You For The Music“, gesungen vom Landesjugendorchester, zu ersetzen, durchaus überraschend ausfielen. Dabei werden einige Zuschauer sogar auf die Bühne geholt, was für die Auserwählten, aber auch für das übrige Publikum ein Gemeinschaftserlebnis und einem durchaus erhebenden Moment darstellte. Die Rolle des alles überwachenden Großinquisitors wurde schließlich, anders als im Original, auf 12 verschiedene Personen ausgedehnt. „Schließlich geht die Kontrolle des Individuums durch Staaten in der Regel nicht von nur einer Person, sondern vielen Entscheidungsträgern und Erfüllungsgehilfen im Hintergrund aus“, erklärt dazu Regisseur Schmitt. Dass sich die Großinquisitoren während der Aufführung jedoch immer wieder schlafen legen, ist eben eine jener Regieideen, die Fragen aufwirft, denn in aller Regel schläft die Überwachung der Bürger durch totalitäre Systeme doch eigentlich nie.

Das Ensemble wurde vom Publikum gefeiert. (Foto: Björn Othlinghaus)

Das Ensemble wurde vom Publikum gefeiert. (Foto: Björn Othlinghaus)

Dass das unter der musikalischen Leitung von Sebastian Tewinkel hervorragend aufspielende Landesjugendorchester NRW seitlich hinter den Kulissen platziert wurde (und ein Monitor zur Beobachtung desselben kurioser Weise im Rücken des Publikums stand) war sicherlich alles andere als optimal, ging die Initiative zur Opernproduktion doch in entscheidendem Maße von diesen talentierten jungen Musikerinnen und Musikern zwischen 14 und 19 Jahren aus. Doch der Orchestergraben des Kulturhauses wäre für die rund 70 Musiker schlicht zu klein gewesen, weshalb es keine Alternative zu dieser Notlösung gab. Auch war es aus technischen Gründen nicht möglich, die deutsche Übersetzung des auf Französisch gesungenen Textes, wie sonst oft üblich, mittig über der Bühne zu platzieren. Je nach Sitzplatz mussten sich die Zuschauer deshalb immer wieder zur Seite und damit vom Bühnengeschehen abwenden, um die Textübersetzung lesen zu können.

Regisseur Bernd Schmitt erläuterte zuvor die Inszenierung. (Foto: Björn Othlinghaus)

Regisseur Bernd Schmitt erläuterte zuvor die Inszenierung. (Foto: Björn Othlinghaus)

Regisseur Bernd Schmitt will viel mit seiner Inszenierung und fordert die Zuschauer mit geballter Symbolik und zahlreichen, manchmal widersprüchlichen Regieeinfällen und Bezügen zu Ereignissen der Gegenwart heraus, mitzudenken und sich nicht einfach nur vom Geschehen berieseln zu lassen. Dieser Umstand, die großen Stimmen und eindrücklichen Darstellerleistungen, das gut aufspielende Orchester und die atemberaubende visuelle Umsetzung machten „Don Carlos – corridors of power“ zu einem besonderen Ereignis in der Bergstadt. Wer die Premierenvorstellung in Lüdenscheid verpasst hat, muss etwas weiter fahren, um die Oper noch einmal auf der Bühne erleben zu können. Weitere Aufführungen finden am 25. und 26. September 2018 jeweils ab 20 Uhr im Rahmen des Flandernfestivals in der Floralienhalle im belgischen Gent sowie am 7. Oktober 2018 ab 18 Uhr im Theater Dühren statt.

 

Kategorie: Kultur, Oper und Operette

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In einer Ramsch-Kiste mit Taschenbüchern wurde ich, gerade mal 10 Jahre alt, fündig. Das – wie ich im Nachhinein feststellte – inkompetenteste Film-Nachschlagewerk dieser Erde, „Das Lexikon des Science-Fiction-Films“ von Roland M. Hahn, weckte mein Interesse für bewegte Bilder. Ich „zerlas“ es völlig (und auch seine nicht weniger missratenen Nachfolger über die Genres „Fantasy“ und „Horror“). Echtes Interesse für die Pop- und Rockmusik kam dagegen erst Jahre später – mit der ersten eigenen kleinen Hifi-Anlage und der CD „The Road to Hell“ von Chris Rea.

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