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Lost River – Regie-Debütant Gosling im Rausch der Bilder

(Foto: TiberiusFilm)
Saoirse Ronan als „Ratte“: Auch für „Lost River“ ist die oscarnominierte Darstellerin eine echte Bereicherung. (Foto: TiberiusFilm)

Als Schauspieler hat Ryan Gosling mit vielen überragenden Regisseuren des modernen Kinos wie Nicolas Winding Refn („Only God Forgives“) und Derek Cianfrance („The Place Beyond The Pines“) erfolgreich zusammengearbeitet.

Zahlreiche weitere Filmemacher zählt der Star zu seinen Vorbildern, denen er mit seinem Regie-Debüt „Lost River“ Referenz erweisen möchte. Gleichzeitig sollte der Mystery-Thriller, zu dem der Star auch selbst das Drehbuch verfasste, ein visionäres Werk werden, das die Handschrift seines Regisseurs trägt. Beides ist freilich nur schwer unter einen Hut zu bringen – die Reaktionen auf Goslings Werk, das in Cannes uraufgeführt wurde, waren wohl auch deshalb recht zwiespältig. Besonders lautstark waren erwartungsgemäß die Unkenrufe, dass es dem Schauspieler nicht gelungen sei, einen eigenen Stil umzusetzen.

Dave (Ben Mendelsohn) ist nicht nur Banker und Nachtclub-Besitzer, sondern auch ein schlimmer Finger. (Foto: TiberiusFilm)

Dave (Ben Mendelsohn) ist nicht nur Banker und Nachtclub-Besitzer, sondern auch ein schlimmer Finger. (Foto: TiberiusFilm)

Dabei sollte sein Debüt nicht nur ein vordergründiger, psychedelischer Bilderrausch mit alptraumhaften Zügen werden, sondern ganz konkret auch vom Verfall eines Landes, natürlich der USA, berichten. Als Hauptdrehort diente deshalb die Stadt Detroit, die wie keine andere US-Metropole durch den industriellen Niedergang gezeichnet ist und wo die Kriminalitätsrate zu den höchsten im ganzen Land zählt. Der Film, der am ehesten als mystisches Märchen für Erwachsene eingeordnet werden kann, spielt in der fiktiven Stadt „Lost River“, wo Billy (Christina Hendricks) mit ihren beiden Söhnen, dem kleinen Franky und dem bereits erwachsenen Bones (Iain De Caestecker) ums Überleben kämpft. Der scheinheilige Banker Dave (Ben Mendelsohn als sinistrer David-Lynch-Charakter), der gleichzeitig einen Nachtclub betreibt, hat die hoffnungslos überschuldete Billy voll und ganz in der Hand und zwingt sie, in seinem Etablissement die abseitigen Bedürfnisse der sadistisch veranlagten Kunden hinter bizarren Sex-Vorrichtungen, den „Schalen“, zu befriedigen. Derweil hat Billys Sohn ganz andere Sorgen.

Miss Kitty Cat (Eva Mendes, rechts) zeigt Billy (Christina Hendricks) die "Schalen". (Foto: TiberiusFilm)

Miss Kitty Cat (Eva Mendes, rechts) zeigt Billy (Christina Hendricks) die „Schalen“. (Foto: TiberiusFilm)

Bones, der sich mit dem Sammeln und Verkaufen von Altmetall ein wenig Geld dazuverdient, ist ständig auf der Flucht vor einer ortsansässigen Gang, die das Metall als ihren Besitz betrachtet.Darüber hinaus verliebt sich der junge Mann in das etwas seltsame Nachbarsmädchen Ratte (wie immer grandios und mit unglaublicher Leinwandpräsenz: Saoirse Ronan). Auf der Flucht vor seinen Verfolgern entdeckt Billy eine fast völlig zugewucherte Straße, die in den angrenzenden See führt und der Schlüssel sein könnte, um den Fluch von Lost River zu brechen. Allen Unkenrufen und Kritikerschelte zum Trotz: „Lost River“ ist in optischer und gestalterischer Hinsicht mit seinen bizarren Settings, intensiven Neonfarben und großformatigen Einstellungen ein Hochgenuss für Cineasten, die Kino als emotionales Erlebnis und nicht als Kopfgeburt verstehen.

Das Budget betrug nur 2 Millionen Dollar

Darüber hinaus ist der Film eine große, dunkle Wundertüte voller Anspielungen auf Regisseure wie Lynch, Refn und Cianfrance. Auch italienische Genrefilmer wie Dario Argento und Mario Bava, deren Markenzeichen gleichermaßen die farblich markante Bildgestaltung ist, haben sicher für die Optik des Werkes Pate gestanden. Gerade vor dem Hintergrund, dass der Film angeblich nur über ein Budget von 2 Millionen Dollar verfügte, ist die Optik, Ausstattung und Bildgestaltung einfach umwerfend und ein Fest für jeden Filmliebhaber.

Leider fehlt es zumindest der Kinofassung – der deutlich längere und dem Vernehmen nach auch komplexer geschnittene Direktors Cut ist nicht Gegenstand dieser Besprechung -, die die Geschichte überwiegend chronologisch erzählt und nicht mit alptraumhaften Brüchen, wie man es von David Lynch kennt, entscheidend an Komplexität und inhaltlicher Tiefe. Die Veröffentlichungspolitik dieses Films kann man in diesem Zusammenhang nur als Geldschneiderei bezeichnen. Wohl bewusst, um den Sammler zu Doppelkäufen zu animieren, wurden unzählige Fassungen von „Lost River“ auf den Markt geworfen.

Daves Nachtclub macht schon rein äußerlich einiges her. (Foto: TiberiusFilm)

Daves Nachtclub macht schon rein äußerlich einiges her. (Foto: TiberiusFilm)

Da gibt es zum Beispiel eine auf 2.222 Exemplare limitierte 2-Disc Collector’s Edition ausschließlich bei Amazon (diese ist Grundlage dieser Besprechung), ein hübsch gestaltetes Sammlerstück mit der Kinoversion auf Blu-ray und DVD, das jedoch aus völlig unverständlichen Gründen nicht die Extended Version enthält. Wer die sehen möchte, muss sich im Handel zusätzlich die simpler gestaltete Blu-ray mit Kinofassung und Extended Version besorgen und noch einmal gutes Geld ausgeben.

Die Komplexität seiner Vorbilder erreicht Gosling nicht

Darüber hinaus gibt es Einzel-DVD und Einzel-Blu-ray, jeweils mit der Kinoversion, eine Blu-ray mit 2D und 3D-Fassung, ebenfalls nur mit der Kinoversion sowie die so genannte Ryan-Gosling-Fan-Edition, die neben der Kinofassung von „Lost River“ noch die beiden Streifen „Drive“ und „Only God Forgives“ von Nicolas Winding Refn und mit Gosling in der Hauptrolle enthält. Nur der Himmel weiß, ob das tatsächlich alle erhältlichen Veröffentlichungen diese Films sind. Bleibt die Frage, ob das hochambitionierte Erstlingswerk des Hollywood-Stars nun empfehlenswert ist oder nicht.

Ryan Gosling hatte bei seinem Debüt-Film stets das kreative Heft in der Hand. (Foto: TiberiusFilm)

Ryan Gosling hatte bei seinem Debüt-Film stets das kreative Heft in der Hand. (Foto: TiberiusFilm)

Letztlich kommt es darauf an, welche Erwartungen man als Zuschauer mit einem Film verbindet, denn bei „Lost River“ handelt es sich um eines jener Werke, die den Style und die äußere Gestaltung über alles und letztlich auch über den Inhalt stellen. Am Ende des Tages ist ein Film jedoch ein visuelles Medium, das ohne die Kraft der Bilder selbst mit einer ausgefeilten Geschichte nur ein zahnloser Tiger bleibt, der auch als Hörspiel seinen Zweck voll und ganz erfüllen könnte. Als grandioser Bilderrausch, den der Zuschauer einfach auf sich wirken lassen sollte, ohne groß darüber nachzudenken, funktioniert der Film somit durchaus. Die erzählerische Komplexität seiner Vorbilder, insbesondere jene Intensität der immer wieder zitierten Lynch-Meisterwerke wie „Lost Highway“, deren Bilder und Einstellungen sich in ihren stärksten Momenten geradezu ins Unterbewusstsein des Zuschauers einbrennen, erreicht der Regie-Debütant allerdings an keiner Stelle. Auch einen eigenen gestalterischen Stil findet Gosling nicht und wollte ihn bei seiner Begeisterung für die ihn inspirierenden Filmemacher am Ende wohl auch gar nicht finden. Wirklich eigene Ideen sind in der Filmbranche freilich allein aufgrund der Masse an über die Jahrzehnte produzierten Filmen ein seltenes Gut geworden (was im übrigen auch auf die Musikbranche zutrifft).

(Foto: TiberiusFilm)

(Foto: TiberiusFilm)

Selbst hoch innovativ erscheinenden Arbeiten kann in den meisten Fällen bescheinigt werden, dass es die eine oder andere Idee in dieser oder jener Form schon irgendwo anders einmal gegeben hat. Wenn Ryan Gosling also mit seinem Werk letztendlich an seinen eigenen Ansprüchen gescheitert ist, dann auf sehr hohem Niveau. All jene, die in der Lage sind, die großartig komponierten Bilder (und auch die herausragenden Darstellerleistungen insbesondere in den Nebenrollen) zu goutieren und emotional an den Film heranzugehen, werden ihre Freude an dem Werk haben.

Bewertung
3,5 von 5 Punkten

Kategorie: Angeguckt, Film & TV

von

In einer Ramsch-Kiste mit Taschenbüchern wurde ich, gerade mal 10 Jahre alt, fündig. Das – wie ich im Nachhinein feststellte – inkompetenteste Film-Nachschlagewerk dieser Erde, „Das Lexikon des Science-Fiction-Films“ von Roland M. Hahn, weckte mein Interesse für bewegte Bilder. Ich „zerlas“ es völlig (und auch seine nicht weniger missratenen Nachfolger über die Genres „Fantasy“ und „Horror“). Echtes Interesse für die Pop- und Rockmusik kam dagegen erst Jahre später – mit der ersten eigenen kleinen Hifi-Anlage und der CD „The Road to Hell“ von Chris Rea.

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