Dagewesen, Musik
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Nick Cave And The Bad Seeds – Ein wahrhaft großer Abend in Düsseldorf

(Foto: Björn Othlinghaus)
Der Kontakt zu den Fans war Nick Cave spürbar wichtig. (Foto: Björn Othlinghaus).

Ich gebe es zu: Ein Konzert von Nick Cave hatte ich mir vollkommen anders vorgestellt.

Als wir am 12. Oktober 2017 die Mitsubishi Electric Halle in Düsseldorf betraten, erwartete ich einen ruhigen Abend mit einem introvertierten Künstler, der gedankenverloren unter dem schummrigen Licht eines fahlen Scheinwerfers am Klavier seine traurigen Weisen anstimmt, begleitet von einer handvoll bedeutungsvoll dreinblickender Musiker, die ebenso virtuos wie routiniert ihre Arbeit verrichten.

Es war in jeder Hinsicht ein großer, emotionaler Abend. (Foto: Björn Othlinghaus)

Es war in jeder Hinsicht ein großer, emotionaler Abend. (Foto: Björn Othlinghaus)

Ich rechnete mit schönen, ruhigen Songs für die Generation Mitte 40, ein Musikgenuss, für den eigentlich auch eine Bestuhlung des Innenraums nicht verkehrt gewesen wäre. Doch es sollte ganz anders kommen. Natürlich bin ich kein ausgewiesener Nick-Cave-Experte. Ich kenne die Standards einschließlich des Duetts „Where The Wild Roses Grow“ mit Kylie Minogue, das sich Nick Cave an diesem Abend übrigens sparte, und ich schätze das ganz hervorragende, wenn auch recht düstere Album „The Boatmans Call“ aus dem Jahr 1998 – das Werk gehört noch immer zu meinen Lieblingsalben. Ich hatte mit etwas völlig anderem gerechnet und bekam nicht weniger als das wohl eindrucksvollste Konzert, dass ich in den letzten Jahren erleben durfte, und das bei einem durchaus ordentlichen Kontingent an besuchten Gigs. Erfreulicher Weise kamen wir sehr früh an und erhielten Bändchen für den Bereich direkt vor der Bühne, den nur eine begrenzte Zahl an „frühen Vögeln“ betreten durfte.

Am Klavier nahm Nick Cave eher selten Platz. (Foto: Björn Othlinghaus)

Am Klavier nahm Nick Cave eher selten Platz. (Foto: Björn Othlinghaus)

Wer weiter weg stand oder saß, musste ganz sicher auf einen nicht unbeträchtlichen Teil des Vergnügens, das dieser Abend bereitete, verzichten, denn Nick Cave präsentierte sich so gar nicht als der introvertierte Künstler, für den ihn manche möglicherweise halten.Vom ersten Song an baute der Musiker eine Beziehung zu seinem Publikum auf, die bei vielen bekannten Künstlern ähnlichen Kalibers ihresgleichen sucht. Dieses Konzert hatte nicht das geringste von jener Distanz, die gerade große Stars oder auch solche, die sich dafür halten, gerne um sich aufbauen. Cave suchte den physischen, körperlichen Kontakt zu seinen Fans, beugte sich über die Menschen, berührte oder hielt gar Sekunden lang einzelne Hände. Nicht selten lies er sich sogar in die ausgestreckten Arme der Menschen fallen, um auf der Masse zu treiben. Während viele populäre Musiker angesichts des Umstandes, dass Fans ihre Smartphones gen Bühne recken und ein Stück des Abends in Form von Fotos oder eines kurzen Filmclips konservieren möchten, gerne motzen und nörgeln und sich darüber echauffieren, dass die Fans angeblich die Bühnenperformance nur noch durch den Handy-Monitor betrachten, gab Cave seinen Anhängern, was sie wollten und wurde nicht müde, auch für die Handy-Fotografen zu posieren.

Zum Greifen nah: Nick Cave. (Foto: Björn Othlinghaus)

Zum Greifen nah: Nick Cave. (Foto: Björn Othlinghaus)

Später im Zugabenteil, während seines großartigen 90er-Jahre-Klassikers „The Weeping Song“, brachte der Australier dann die Security-Leute ins Schwitzen, als er sich tiefer in den mit 4000 Menschen ausverkauften Saal zum Publikum gesellte oder am Schluss gar die Fans die Bühne entern lies, um dort mit ihnen gemeinsam zu singen und zu tanzen. Jeder konnte dabei mitmachen, niemand, der über den Bühnenrand kletterte, wurde abgewiesen. Für diesen bemerkenswerten Musiker, der für einen 60-jährigen noch erstaunlich gut bei Stimme ist, stellte es ein spürbares Anliegen dar, den Menschen etwas zu geben, was über das bloße Abfeiern von Musikstücken hinausgeht, und das gelang ihm an diesem wundervollen Abend vortrefflich. Es beeindruckte und berührte nachhaltig, dass man es hier mit einem Star zu tun hatte, der sich weder auf das bloße Interpretieren seiner Songs beschränkte – was er und seine Musiker freilich dennoch auf vortreffliche Weise taten – noch die geringste Form von Arroganz oder Distanziertheit an den Tag legte, sondern sich auf Augenhöhe mit den Fans begab, um mit ihnen gemeinsam den Moment zu feiern.

Die Fans durften zum Meister auf die Bühne. (Foto: Björn Othlinghaus)

Die Fans durften zum Meister auf die Bühne. (Foto: Björn Othlinghaus)

Eine Musiklegende, die auf dem Teppich geblieben ist – wo gibt es so etwas noch in Zeiten aufgeplusterter Diven vom Schlage einer Mariah Carey oder distanzierter Egomanen wie Bob Dylan, die steril ihre Gigs runterleiern, die Fans kaum eines Blickes oder Wortes würdigen und im Glanze ihrer zweifelsfrei vorhandenen, aber nicht selten auch längst verblassten Genialität jeden echten Bezug zum Publikum verloren haben. Gute Konzerte sieht man oft, doch große Abende, die über die bloße Präsentation von Musik hinausgehen und wirklich unvergesslich im Gedächtnis bleiben, die kommen bestenfalls alle paar Jahre einmal vor. Dieses Konzert war so ein besonderes Ereignis. Jedem Freund guter Musik sei wärmstens ans Herz gelegt, ein Konzert mit Nick Cave And The Bad Seeds in die Liste jener Erfahrungen aufzunehmen, die vor dem Ableben unbedingt noch gemacht werden sollten.

Kategorie: Dagewesen, Musik

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In einer Ramsch-Kiste mit Taschenbüchern wurde ich, gerade mal 10 Jahre alt, fündig. Das – wie ich im Nachhinein feststellte – inkompetenteste Film-Nachschlagewerk dieser Erde, „Das Lexikon des Science-Fiction-Films“ von Roland M. Hahn, weckte mein Interesse für bewegte Bilder. Ich „zerlas“ es völlig (und auch seine nicht weniger missratenen Nachfolger über die Genres „Fantasy“ und „Horror“). Echtes Interesse für die Pop- und Rockmusik kam dagegen erst Jahre später – mit der ersten eigenen kleinen Hifi-Anlage und der CD „The Road to Hell“ von Chris Rea.

2 Kommentare

  1. Susanne sagt

    Amen!!!

    Lieber Björn, Danke für Deinen tollen Bericht – das hast Du wundervoll zusammengefasst!
    Auch ich war an dem Abend dort und glaube, es ist schwer nachzuvollziehen was dieses Konzert so besonders macht, wenn man nicht dabei war. Aber es gibt ein paar ausgezeichnete YouTube-Clips des Konzertes – da kann man es erahnen… : )

    • Björn sagt

      Hallo Susanne,
      das freut mich sehr, dass Dir der Beitrag gefallen hat :-). Das Konzert war wirklich einmalig, vor allem der Kontakt zum Publikum hat mich begeistert. Sowas gibt es bei solchen großen Konzerten sonst nicht. Es war wirklich ein unvergesslicher Abend :-).
      Beste Grüße,
      Björn
      http://www.worteffekte.de

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