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Sing, Nachtigall, sing! Udo Lindenberg ist „Stärker als die Zeit“

(Foto: Tine Acke)
Der „Erfinder höchster Coolness“ hat ein neues Album am Start. (Foto: Tine Acke)

„Wenn kein anderer da ist, stellt sich hier die Frage, muss er wirklich noch mal ran auf seine alten Tage?“ „Einer muss den Job ja machen“ aus dem Album „Stärker als die Zeit“.

Acht Jahre ist es nun schon her, dass der Mann mit dem Hut nach zwei Jahrzehnten mehr oder weniger starker künstlerischer Flaute mit dem grandiosen Album „Stark wie Zwei“ sozusagen auferstand wie Phönix aus der Asche. Eine lange Zeit, um am Nachfolger zu basteln, der nun seit Ende April 2016 in den Regalen steht. Udo Lindenbergs neuer Longplayer „Stärker als die Zeit“ wiederholt das bewährte Rezept des Comeback-Meisterwerks und fährt, wie es scheint, auf einer ähnlichen Erfolgsspur – nach nur vier Tagen holte das direkt auf Platz 1 in die Album-Charts eingestiegene Werk mit dem selben Produzenten-Team, das bereits „Stark wie zwei“ auf die Beine stellte, Platin.

"Rampensau" Udo. (Foto: Tine Acke)

„Rampensau“ Udo. (Foto: Tine Acke)

Die Mischung aus niemals in den Kitsch abgleitenden, ehrlichen und von Altersmilde getragenen Balladen, soliden Rock-Songs, wuchtigen Hymnen und freundlichen Aufforderungen, auch in schweren Lebenslagen den Hintern hochzukriegen, wird von Lindenbergs knorrigem Charakter getragen und funktioniert auch im zweiten Anlauf bestens. „Stärker als die Zeit“ erreicht oft die herausragende Qualität des Vorgängers, schafft den Spagat zwischen trauriger Melancholie, die sogar Gedanken des Musikers über den eigenen Tod umfasst („Wenn die Nachtigall verstummt“) und der sympathischen Aufforderung, immer bei sich selbst zu bleiben („Plan B“). Dabei wird nicht unbedingt ein Feuerwerk der Innovationen abgeliefert und dem Album könnte man seine handwerklich perfekte, aber durchaus konventionelle Produktion vorwerfen. Doch Udo Lindenberg, seit mehr als 40 Jahren eine Institution im Musikgeschäft, muss das Rad nicht ständig neu erfinden. Auch der Umstand, dass er seine Songs nicht mehr alleine schreibt wie früher, sondern ein kreatives Team um sich versammelt hat, ist doch kein Problem, wenn trotz oder vielleicht sogar gerade wegen der zahlreichen Köche ein homogenes und dennoch abwechslungsreiches, geschmackvolles Süppchen dabei herauskommt.

Obwohl die Scheibe durchaus kommerziellen Ansprüchen gerecht wird und vielen eingängigen Songs die Radiotauglichkeit nicht abgesprochen werden kann, macht die kantige Persönlichkeit Lindenbergs, seine von Whiskey und Kippen gestählte, einzigartig-nöhlige Stimme und die authentische Lebenserfahrung, die sich in vielen seiner Songtexte widerspiegelt, den Reiz der Scheibe aus. Durchhalte-Lieder oder, noch schlimmer, Mutmachsongs, sind derzeit schwer in Mode, und „Stärker als die Zeit“ steht hier ebenfalls nicht zurück.

Minimalistisch instrumentiert

Im Gegensatz allerdings zu erfolgreichen Sangeskollegen wie zum Beispiel Andreas Bourani, der seine Durchhalte-Botschaft in „Hey“ textlich wie musikalisch in aseptischen Edel-Kitsch kleidet, zeigen sich Lindenbergs Lyrics zurückhaltender, kommen ehrlicher und wahrhaftiger rüber und sind oft nicht mit großem Pathos, sondern eher minimalistisch instrumentiert. Insbesondere in der großartigen Hymne „Muss da durch“ ist der Hörer stets von dem Gefühl getragen, dass da einer singt, der selbst vom Leben „auf die Bretter geschickt“ wurde und weiß, wovon er spricht.

Die Nachtigall ist nicht vollständig ohne Hut, Zigarre und Brille. (Foto: Tine Acke)

Die Nachtigall ist nicht vollständig ohne Hut, Zigarre und Brille. (Foto: Tine Acke)

Ein entscheidender Unterschied zum Vorgänger ist schließlich, dass bei „Stärker als die Zeit“ nicht so viele prominente Gäste mit von der Partie sind – im wesentlichen taucht nur der Schriftsteller und Lindenberg-Intimus Benjamin von Stuckrad-Barre als Mit-Autor der in blumen- und bildreicher Sprache gehaltenen Ode an die Freundschaft, „Eldorado“, auf. Natürlich enthält das Album, das mit 15 Songs recht üppig bestückt ist, fast zwangsläufig auch die eine oder andere schwächere Nummer. So kann man sich über die Idee, im Titeltrack das Thema des Films „Der Pate“ von Nino Rota Udo-mäßig neu zu vertonen, trotz des sorgfältigen Arrangements und der aufwändigen Orchester-Aufnahme in den legendären Londoner Abbey Road Studios trefflich streiten.

Bei „Göttin sei Dank“ oder „Dr. Feel Good“ wirken die Lyrics leicht ungelenk und ein wenig wie beim Brainstorming aus den Rippen geschnitten, doch auf der anderen Seite glänzen großartig geschriebene Songs wie „Der einsamste Moment“, in dem Lindenberg die Einsamkeit des „Erfinders höchster Coolness“ kurz vor einem Konzert vor 50.000 Menschen in die Hilflosigkeit und Ohnmacht angesichts einer aus den Fugen geratenen Welt gipfeln lässt, die ihn nach dem Auftritt beim Anschauen der TV-Nachrichten im leeren Hotelzimmer übermannt. Hierbei handelt es sich sicher um einen der stärksten Songs des Albums, in dem Udo auch seiner Eltern Gustav und Hermine gedenkt, die bei jedem Auftritt aus dem Himmel über ihn wachen.

LindenbergUnter dem Strich funktioniert die Erfolgsformel von „Stark wie Zwei“ beim Nachfolger noch immer hervorragend. Muss Udo also noch ein drittes Mal ran „auf seine alten Tage“? Unbedingt, den Schreiber dieser Zeilen würde es jedenfalls freuen! Dennoch sollte die Nachtigall dann mal wieder gen Süden ins unbekannte Land aufbrechen, damit der erfolgreiche Gaul auf lange Sicht nicht zu Tode geritten wird.

Anspiel-Tipp: „Muss da durch“, „Der einsamste Moment“, „Eldorado“
Bewertung: 4 von 5 Punkten

Kategorie: Angehört, Musik

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In einer Ramsch-Kiste mit Taschenbüchern wurde ich, gerade mal 10 Jahre alt, fündig. Das – wie ich im Nachhinein feststellte – inkompetenteste Film-Nachschlagewerk dieser Erde, „Das Lexikon des Science-Fiction-Films“ von Roland M. Hahn, weckte mein Interesse für bewegte Bilder. Ich „zerlas“ es völlig (und auch seine nicht weniger missratenen Nachfolger über die Genres „Fantasy“ und „Horror“). Echtes Interesse für die Pop- und Rockmusik kam dagegen erst Jahre später – mit der ersten eigenen kleinen Hifi-Anlage und der CD „The Road to Hell“ von Chris Rea.

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