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The Hateful 8: Ganz großes, extrem breites Kino – auch im Heimkino?

Unfreiwillige Hüttengesellschaft: John Ruth (Kurt Russell), seine Gefangene Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh) und General Sanford Smithers (Bruce Dern) (Foto: Universum Film)

Funktioniert das? „The Hateful 8“ im Heimkino? Kultregisseur Quentin Tarantino drehte schließlich ganz bewusst seinen achten Spielfilm auf 65mm-Film, aus dem 70mm-Vorführkopien erstellt wurden. Ultra Panavision und damit Breitwand at its best ist das Stichwort. Die extreme Breite des Formats und die damit einhergehende fehlende Höhe wollen vom Zuschauer erfasst werden. Breitwandfilme bedeuten Weite. Eine Weite, die den meisten modernen Kinos bereits fehlt. Nur noch wenige Kinos in Deutschland, wie die Lichtburg in Essen, können Filme, die diese Dramatik des verlängerten Raums nutzen, überhaupt noch vorführen und adäquat präsentieren. Wie soll das in den heimischen vier Wänden funktionieren, in denen überwiegend Fernseher mit bescheidenen Ausmaßen zum Einsatz kommen? Um diese Frage zu beantworten, schauen wir uns Tarantinos Kriminalstück, das im Gewand eines Westerns daherkommt, einmal näher an.

Mit Ultra Panavision setzt Tarantino auf ein Format, das 1962 von der kalifornischen Firma Panavision eingeführt wurde und nur in weniger als einem Dutzend Filmen zum Einsatz kam, weil es bereits Ende der 1960er Jahre durch Super Panavision abgelöst wurde. „Khartoum“, ein britischer Monumentalfilm aus dem Jahre 1966 mit Charlton Heston und Laurence Olivier in den Hauptrollen, war der letzte Film in diesem Format. Ein halbes Jahrhundert später kramt Tarantinos Kameramann Robert Richardson die originalen Objektive aus den Archivecken, um einem modernen Film eine längst verloren geglaubte Optik zu verpassen.

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Behind the Scenes: Regisseur Quentin Tarantino erklärt eine Szene. Am Tisch rechts: Tim Roth. Links: Kurt Russell und Jennifer Jason Leigh. Foto: Universum Film

Einziges Problem dabei: Im Heimkino ist diese Optik kaum zu reproduzieren. Auch wenn interessanterweise moderne Flachbildfernseher mit gekrümmter Bauform genau jenes Detail aufweisen, das eine Leinwand, mal abgesehen von der Größe, besitzen muss, um ein perfektes Ultra Panavision-Erlebnis zu schaffen. Das Kino von Panavision in Kalifornien erfüllt alle diese Kriterien und es war für Tarantino offensichtlich ein nachhaltiges Erlebnis, auf dieser Leinwand das berühmte Wagenrennen aus „Ben Hur“ zu erleben. Ihm wurde bewusst, dass er den Film nie im Originalformat gesehen hatte. Tarantino: „Das war einfach unglaublich.“

Langfassung fürs Heimkino nicht erhältlich

Diese grandiosen Bilder wollte er für seinen Film auch haben und auch das in den 1960er Jahren übliche „Tamtam“, wenn solche Filme in ausgewählten Kinos anliefen. Für diese so genannten Roadshows wurden den Filmen eine Ouvertüre und ein Pause, bei denen das Bild schwarz blieb,  hinzugefügt. Für die Filmmusik engagierte Tarantino die Legende Ennio Morricone („Spiel mir das Lied vom Tod“), der dafür zurecht den Oscar gewann. Käufer der DVD oder Blu-ray müssen allerdings auf die gesondert erhältliche Filmmusik zurückgreifen, wenn sie den Soundtrack in vollem Umfang genießen wollen, da nur die Standard-Kinofassung enthalten ist. Für die Langfassung, bei der zudem noch ein paar Szenen verändert wurden, gibt es nach Auskunft des deutschen Rechteinhabers Universum Film zurzeit keine Freigabe fürs Heimkino.

Bilder wirken im Heimkino anders als im Kino

Apropos Heimkino: Funktioniert der Film angesichts der angeführten Einschränkungen in den heimischen Wänden deshalb gar nicht? Jein. Diese zweideutige Antwort hat zum einen etwas mit dem Anspruch jedes einzelnen Zuschauers zu tun und dessen subjektiven Empfinden. Zum anderen aber objektiv etwas mit dem, was uns Zuhause an technischer Ausstattung erwartet. Jeder kann nachvollziehen, dass ein Beamer mit passendem Sitzabstand zur Leinwand etwas anderes ist, als ein alter Röhrenfernseher mit 60 Zentimeter Bildschirmdiagonale. Gleich zu Beginn reizt Tarantino das Format mit einer langen Einstellung der schneebedeckten Berge Wyomings aus. Es folgen weitere –für heutige Sehgewohnheiten sehr lange dauernde – Einstellungen sowie langsame Schwenks über die schneebedeckten Ebenen und Berge. Die eingangs erwähnte Weite dieses Formats kommt voll zum Tragen. Irgendwann entdeckt man am Horizont eine Kutsche, die sich durch die schneebedeckte Landschaft kämpft. Fast anderthalb Minuten dauert es, bis die Kutsche den Kamerastandort erreicht. Anderthalb Minuten ein und dieselbe Einstellung. Eine halbe Ewigkeit im heutigen Kinozeitalter der schnellen Schnitte. Genau hier wird aber deutlich, warum so mancher Zuschauer ein Problem mit dem Film bekommt und sich anfängt zu langweilen. Die einzige Dramatik in dieser Einstellung geht von Morricones Musik aus, die bei einer perfekten Projektion eine wunderbare Einheit mit den Bildern eingeht. Ist die Glotze aber zu klein, kommt die Dramatik des verlängerten Raumes nicht zum Tragen, sondern schlägt in gähnende Leere um. Dies sollte man sich vor dem Gucken von „The Hateful Eight“ klar machen, dass das Konzept des Films nur im Kino aufgeht – und selbst dort nur in wenigen zu 100 Prozent. Sonst wird die fein gewobene Kriminalgeschichte, bei der in bester Miss Marple-Tradition die Fragen „Wer war es?“ und „Was ist passiert?“ nach und nach beantwortet werden, zur Geduldsprobe.

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Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson) hat alles und jeden im Blick. Foto: Universum Film

Einige Jahre nach dem amerikanischen Bürgerkrieg müssen aufgrund eines drohenden Schneesturms mehrere Personen in einer abgelegenen Hütte einen unfreiwilligen Zwischenstopp einlegen. An eine zufällige Zusammenkunft glaubt recht schnell keiner mehr und so wird der Aufenthalt in Minnies Miederwarenladen zu einer nervenaufreibenden Geduldsprobe auf kleinstem Raum. Kammerspiel statt weiter Landschaften. Dafür musste Tarantino einiges an Kritik einstecken. Für ein Kammerspiel sei ein Format wie Ultra Panavision völlig übertrieben. Das ist, um es deutlich zu sagen, totaler Quatsch. Wer sich nur ein wenig mit der Geschichte der Breitwandfilme auseinandergesetzt hat weiß, dass zu Beginn das überbreite Format entweder mit allem möglichen wie monumentalen Massenszenen vollgestopft oder weite Landschaften wie Ölgemälde inszeniert wurden. Kreative Filmemacher entdeckten aber sehr schnell wie dicht sich menschliche Emotionen in diesem Format inszenieren lassen. Man erinnere sich nur an die Szene in „Spiel mir das Lied vom Tod“ (1968), gedreht in Techniscope, in der sich die Kamera langsam dem Gesicht von Charles Bronson nähert und am Ende nur noch die Augen von Bronson auf der Leinwand zu sehen sind. Und Techniscope besitzt „nur“ ein Seitenverhältnis von 2,35:1, während wir es bei Ultra Panavision mit 2,76:1 zu tun haben. Doch Tarantino weiß das Format geschickt einzusetzen und inszeniert ein ums andere Mal intensive Einstellungen, in denen die Emotionen zwischen den an den äußeren Rändern positionierten Personen förmlich spürbar werden. Wenn, ja wenn die Mattscheibe das zulässt.

Modernes Kino mit alter Optik

Quentin Tarantinos achter Spielfilm ist ein faszinierender Western – und das nicht nur aufgrund des Einsatzes eines längst verloren geglaubten Breitwandformats. Vor dem Hintergrund eines aufziehenden Schneesturms entwickelt Tarantino ein spannendes Aufeinandertreffen von acht Personen, die selbst nicht glauben, dass das zufällig passiert. Und so entwickelt sich ein von Misstrauen geprägtes Kammerspiel, das erst im letzten Drittel ein wenig blutiger daherkommt. Aber mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden…

The_Hateful_8_DVD_Standard_888751872998_3D.300dpiBewertung 4 von 5 Sternen

The Hateful 8
The Hateful Eight USA 2015

Dt. Heimkinostart 30. Mai 2016

FSK ab 16 Jahre

Darsteller Samuel L. Jackson, Kurt Russell, Jennifer Jason Leigh, Walton Goggins, Demian Bichir, Tim Roth, Michael Madsen, Bruce Dern

Regie & Drehbuch Quentin Tarantino

Bildformat 2.76:1 in 16:9

Tonformat Deutsch, Englisch Dolby Digital 5.1 (DVD), DTS-HD 5.1 MA (Blu-ray)

Länge ca. 161 Min. (DVD), ca. 167 Min. (Blu-ray)

Extras Beyond the 8: Ein Blick hinter die Kulissen, Der Zauber von 70mm

Kategorie: Angeguckt, Film & TV

von

In einer Ramsch-Kiste mit Taschenbüchern wurde ich, gerade mal 10 Jahre alt, fündig. Das – wie ich im Nachhinein feststellte – inkompetenteste Film-Nachschlagewerk dieser Erde, „Das Lexikon des Science-Fiction-Films“ von Roland M. Hahn, weckte mein Interesse für bewegte Bilder. Ich „zerlas“ es völlig (und auch seine nicht weniger missratenen Nachfolger über die Genres „Fantasy“ und „Horror“). Echtes Interesse für die Pop- und Rockmusik kam dagegen erst Jahre später – mit der ersten eigenen kleinen Hifi-Anlage und der CD „The Road to Hell“ von Chris Rea.

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