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American Honey – Ein unverstellter Blick auf ein trostloses Amerika

(Foto: Universal Pictures)
Liebe mit Hindernissen: Star (Sasha Lane) und Jake (Shia LaBeouf). (Foto: Universal Pictures).

Wenn die Mainstream-Filmlandschaft weitgehend geprägt ist von seelen- und fantasielosen Comic-Filmchen mit CGI-Effekt-Gewitter, ist es umso erfreulicher, einmal über etwas zu stolpern, bei dem das Gefühl des besonderen aufkommt und der Eindruck entsteht, dass eine relevante Geschichte auf eine individuelle, besondere und eindrückliche Weise erzählt wird.

Das Drama „American Honey“ der britischen Regisseurin Andrea Arnold ist sicher alles andere als ein bequemer Film und verlangt seinem Publikum einiges ab. Doch der Zuschauer wird dafür belohnt, sich auf diesen besonderen Trip einzulassen, der seiner trostlosen, mit schmerzhaftem Realismus erzählten Geschichte in den besten Momenten Augenblicke der Schönheit und Romantik abtrotzen kann.

Star (Sasha Lane) träumt von einem besseren Leben. (Foto: Universal Pictures)

Star (Sasha Lane) träumt von einem besseren Leben. (Foto: Universal Pictures)

Die Handkamera folgt über eine Lauflänge von fast drei Stunden der 18-jährigen Star (eine echte Entdeckung: Schauspiel-Debütantin Sasha Lane), die ihrer verlotterten Familie, der Verantwortung für ihr kleines Kind und dem Mief ihrer texanischen Heimat entkommen will. Als sie in einem Supermarkt auf Jake (neben Will Patton, der in einer kleinen Nebenrolle zu sehen ist, der einzige Star im Ensemble: Shia LaBeouf), den charismatischen Anführer einer Abo-Drückerkolonne, trifft, parkt sie ihr Kind kurzerhand bei Verwandten und schließt sich der Gruppe an. Das Leben der Jugendlichen ist geprägt von dem Druck, jeden Tag Geld für Krystal (Riley Keough „Mad Max Fury Road“), die Chefin der Kolonne, zu erwirtschaften, von dem nur wenig für die Jugendlichen selbst abfällt.

Krystal (Riley Keough) nutzt die Mitglieder ihrer Drückerkolonne schamlos aus. (Foto: Universal Pictures)

Krystal (Riley Keough) nutzt die Mitglieder ihrer Drückerkolonne schamlos aus. (Foto: Universal Pictures)

Zudem müssen die Jungs, allen voran Jake, ihrer Chefin auch noch sexuell gefällig sein. Zwischen Star und Jake entwickelt sich, trotz zahlreicher Rückschläge, eine wilde und ungestüme Liebe. Der Blick der britischen Ausnahme-Regisseurin und Oscar-Preisträgerin Andrea Arnold („Fish Tank“) auf das Land der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten und insbesondere auf eine Jugend, die es schwer hat, überhaupt noch ein winziges Bröckchen von amerikanischen Traum für sich zu ergattern, ist in jeder Hinsicht schonungslos. In langen Einstellungen und roh wirkenden Bildern schildert Arnold den Alltag in der Drückerkolonne, die überwiegend als lose Aneinanderreihung von Episoden und Schlaglichtern erzählt wird.

Die Jugendlichen wohnen während ihrer Verkaufstouren in tristen Motels. (Foto: Universal Pictures)

Die Jugendlichen wohnen während ihrer Verkaufstouren in tristen Motels. (Foto: Universal Pictures)

Die durchlaufende Handlung ist über die Marathonlänge von 160 Minuten nicht viel mehr als ein roter Faden, der die Perlenkette aus atmosphärischen Milieuschilderungen und Einzelepisoden zusammenhält. Die Schauplätze sind oft trist – Supermarktparkplätze, schäbige Motelzimmer, slumähnliche Trailerparks, in denen die Kinder von alkoholkranken Eltern unbeaufsichtigt vor sich hin vegetieren sowie eintönige Vorstadt-Siedlungen der Mittelschicht – doch auch Villenviertel und wohlhabende Gegenden, in denen die Jugendlichen versuchen, ihre Abos zu verkaufen, wirken nicht weniger deprimierend. Dem gegenüber steht die Lebensfreude der Protagonistin, die für ein wenig Glück in ihrem Leben kämpft.

Ausgelassene Partys gehören auch zum Leben der Abo-Werber. (Foto: Universal Pictures)

Ausgelassene Partys gehören auch zum Leben der Abo-Werber. (Foto: Universal Pictures)

Hollywood-Star Shia LaBeouf überzeugt neben Newcomerin Sasha Lane als zwar charismatischer, letztlich aber doch extrem abgewrackter Charakter, der sich einerseits zu Star hingezogen fühlt, sie aber dennoch ständig für seine Zwecke ausnutzt. „American Honey“ ist einer jener Filme, die einerseits ihr Publikum verstören, ambitionierte und aufnahmebereite Zuschauer jedoch mit zahlreichen schönen und eindrücklichen Momenten und mit der Erkenntnis belohnen, es hier mit einem außergewöhnlichen Filmwerk zu tun zu haben, das wahrhaftig ist und noch nicht mal im Ansatz eine Hollywood-Traumwelt vorgaukelt, die es nicht gibt.

Viele Stunden werden die Jugendlichen im Bus durchs Land gekarrt. (Foto: Universal Pictures)

Viele Stunden werden die Jugendlichen im Bus durchs Land gekarrt. (Foto: Universal Pictures)

Ähnlich trostlos wie die oft ausweglos erscheinende Situation der Jugendlichen im Film ist allerdings auch die armselige Ausstattung der deutschen DVD/Blu-ray, der man noch nicht mal ein professionell gestaltetes Menü gegönnt hat. Gerne hätte man Meinungen und Ansichten der Macher zu ihrem Werk erfahren, doch die Scheibe bietet nichts außer dem nackten Film. Einem so wichtigen und außergewöhnlichen Werk wie „American Honey“, der sicher überwiegend von Cineasten oder Menschen mit besonderem Filmgeschmack frequentiert wird, hätte ein aufwändig gestaltetes Mediabook gut zu Gesicht gestanden.

Bewertung 4,5 von 5 Sternen
American Honey

American Honey
Großbritannien 2016

Dt. Heimkinostart bereits erhältlich

FSK ab 12 Jahre

Darsteller Sasha Lane, Shia LaBeouf, Riley Keough, Arielle Holmes

Regie Andrea Arnold
Drehbuch Andrea Arnold
Bildformat 1.33:1
Tonformat Blu-ray: Deutsch, Englisch, Spanisch, Polnisch (DTS Digital Surround 5.1) DVD: Deutsch, Englisch, Polnisch (Voiceover) (Dolby Digital 5.1), Englisch (Dolby Digital 5.1)
Länge ca. 157 Min. (DVD), ca. 163 Min. (Blu-ray)

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In einer Ramsch-Kiste mit Taschenbüchern wurde ich, gerade mal 10 Jahre alt, fündig. Das – wie ich im Nachhinein feststellte – inkompetenteste Film-Nachschlagewerk dieser Erde, „Das Lexikon des Science-Fiction-Films“ von Roland M. Hahn, weckte mein Interesse für bewegte Bilder. Ich „zerlas“ es völlig (und auch seine nicht weniger missratenen Nachfolger über die Genres „Fantasy“ und „Horror“). Echtes Interesse für die Pop- und Rockmusik kam dagegen erst Jahre später – mit der ersten eigenen kleinen Hifi-Anlage und der CD „The Road to Hell“ von Chris Rea.

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