Klaus-Peter Wolfs Ostfriesen-Krimis sind ein überragender Erfolg.
Der aus Gelsenkirchen stammende und in Norden/Norddeich lebende Autor verkaufte bislang 11 Millionen Bücher, wobei ein Ende bei zwei neuen Kriminalromanen pro Jahr kaum abzusehen ist. Vor seiner Lesung im Rahmen des Festivals „Mord am Hellweg“ in der Phänomenta in Lüdenscheid am 6. Oktober 2018 sprach Björn mit dem Autoren und seiner Lebensgefährtin, der unter anderem aus dem Kinderkanal (KiKA) bekannten Kinderliedermacherin und Kinderbuchautorin Bettina Göschl, die seine Lesungen musikalisch begleitet. Zum Interview im Museumscafé des Lüdenscheider Geschichtsmuseums brachten die beiden ein Exemplar der von Klaus-Peter Wolf selbst herausgebrachten Zeitung „Ostfriesland-Krimis – Die Klaus-Peter Wolf-Zeitung“ mit.
Herr Wolff, was hat es mit dieser ganz besonderen Zeitung auf sich?
K. P. Wolf: Die Ostfriesland-Krimizeitung ist eine Idee des Journalisten Holger Bloem, der Chefredakteur des Ostfriesland-Magazins ist und auch in meinen Krimis immer wieder vorkommt. Sie erscheint seit 10 Jahren einmal im Jahr in einer Auflage von 1,6 Millionen Exemplaren mit schönen Fotos und tollen Geschichten darüber, was Bettina und ich so machen.
Bis 70.000 werden als Werbematerial an Buchhandlungen gegeben, den Rest legen wir Tageszeitungen bei. Natürlich steht immer der neue Kriminalroman, der zuletzt erschienen ist, im Mittelpunkt, und es gibt immer ein Interview mit uns im Café ten Cate in Norden, das sich ja ebenfalls in meinen Büchern wiederfindet.
Was war der Auslöser für Sie beide, 2003 nach Ostfriesland zu ziehen, dem Ruhrgebiet den Rücken zu kehren und sich auch in ihrer Literatur fast ausschließlich diesem Teil Deutschlands zu widmen? Was fasziniert Sie an Ostfriesland und speziell an dem Ort Norden-Norddeich?
Bettina Göschl: Wir hatten eine Sehnsucht, ans Meer zu ziehen, es war ein Traum von uns beiden. Ich bin immer viel in den Norden gereist und konnte mich dort gut erholen. Das gleiche gilt für Klaus-Peter. Außerdem hatten wir ein Erlebnis in Norddeich am Strand, als wir zwei Regenbögen gesehen haben, die sich überschnitten, ein herrliches Schauspiel. Da haben wir gesagt: Das ist ein Zeichen, dass wir beide hier hin gehören!
K. P. Wolf: Für Menschen, die im Ruhrgebiet leben, ist Ostfriesland oft eine Art Sehnsuchtsort. Viele Menschen, die ich kenne, sind nach Ostfriesland in Urlaub gefahren oder ganz hingezogen, und wir eben auch. Wenn ich zum Beispiel ein Filmdrehbuch überarbeiten musste, habe ich mich gerne dorthin zurückgezogen. Genauso war es, wenn ich in einer Lebenskrise steckte.
Die beiden Sommerfeldt-Romane „Totenstille im Watt“ und „Totentanz am Strand“ unterscheiden sich ja vom Konzept her stark von den anderen Romanen, in denen die Kommissarin Ann Kathrin Klaasen eine Rolle spielt. Eigentlich ist ja in beiden Büchern Dr. Sommerfeldt als Ich-Erzähler die Hauptfigur und nicht die Ermittlerin.
K.P. Wolf: Genau. Das dramaturgisch schwierige daran ist ja, dass der Serienkiller Sommerfeldt gleichzeitig ein Antagonist und die Hauptperson ist und praktisch zum Helden wird.
Sommerfeldt hat ja einige durchaus sympathische Züge, mit denen sich die Leser identifizieren können.
K.P. Wolf: Absolut. Als das erste Sommerfeldt-Buch „Totenstille im Watt“ erschienen ist, war die erste Leserreaktion, die ich bekommen habe, die Facebook-Nachricht einer jungen Frau, die schrieb, öffentlich einsehbar für alle: „Wie soll ich es meinen Eltern erklären, ich habe mich in einen Serienkiller verliebt!“
Bettina Göschl: Er hat einfach etwas empathisches, die Leute können sich einfühlen in den Charakter. Es gibt Persönlichkeitsanteile an ihm, mit denen sich die Leute identifizieren, aber das erschreckt sie auch, weil er ja ein Mörder ist.
Bin ich auf dem Holzweg oder gibt es bei den beiden Sommerfeldt-Büchern hinsichtlich des Konzeptes Parallelen zur Fernsehserie Colombo, die in „Totenstille im Watt“ ja auch an einer Stelle zitiert wird (zum Beispiel, dass der Mörder die Hauptrolle spielt und der Inspektor, in diesem Fall Ann Kathrin Klaasen, in den Hintergrund tritt)?
K.P. Wolf: Wo Sie das jetzt so sagen … Aber da bin ich beim Schreiben nicht drauf gekommen. Ich wollte aus der Sicht des Bösen, des Serienkillers, die Welt erzählen, und das sollte eine spannende Sicht sein, denn Sommerfeldt ist ja kein dumpfer Mörder, sondern durchaus ein belesener, kluger Mensch.
Der sucht Rechtfertigungen für sein Tun und holt diese aus der Literatur, aus der Mythologie. Und auf einmal merkt man, dass man ihm das glaubt und abkauft, und dann wehrt man sich wieder dagegen. Ich wollte eine ambivalente Figur schaffen, bei der Gut und Böse verwischen. Übrigens ist Sommerfeldt ein unglaublicher Erfolg. Wir sind jetzt bei Verkaufszahlen von 400.000 Exemplaren, nur für Band 1.
Täusche ich mich, oder steckt im Charakter Sommerfeldt auch ein Teil von Ihnen selbst? Zum Beispiel, dass Sie Ihr altes Leben im Ruhrgebiet hinter sich gelassen haben, als Sie nach Ostfriesland gegangen sind. Außerdem hat Sommerfeldt mit der Leitung des elterlichen Unternehmens Schiffbruch erlitten, und Ihnen ist ähnliches mit der Leitung eines Verlages passiert.
K.P.Wolf: Es steckt einiges von mir in Sommerfeldt. Ich habe selbst einen Konkurs erlebt und weiß, was dann passiert und wie sich die Menschen verhalten.
Man hat plötzlich deutlich weniger Freunde.
K.P. Wolf: Genau so ist das. Man fühlt sich für alles schuldig, und plötzlich nimmt einem die Bank obendrein die Kreditkarte weg. Ich weiß genau, wie sich so jemand fühlt. Ich hatte damals 2,7 Millionen DM Schulden, und ich war erst 26 Jahre alt. Da wusste ich überhaupt nicht, wie ich weitermachen sollte, denn damals musste ich mit 300.000 DM Zinsen rechnen, die jedes Jahr noch obendrauf kommen. Da konnte ich noch so viele Drehbücher für Fernsehserien schreiben, ich hatte keine Chance, da runterzukommen.
Sommerfeldt ist ja gar kein echter Arzt, rutscht aber irgendwie in die Rolle hinein. Könnte denn einer, der gar kein Arzt ist, einfach so als Arzt praktizieren, ohne aufzufallen?
K.P. Wolf: Als „Totenstille im Watt“ erschien, kamen zunächst genau solche Reaktionen. Doch das Buch war gerade sechs Wochen auf dem Markt, da flog auf, dass sich, ausgerechnet in Norden, ein Patient der Psychiatrie als Arzt ausgegeben hat und dort seit eineinhalb Jahren unbehelligt praktizierte.
So etwas in einem Krankenhaus zu machen, wo er doch ständig mit richtigen Ärzten, also Fachleuten, zu tun hat, hätte ich als völlig unrealistisch empfunden, es hat aber doch funktioniert. Ein Hausarzt wie Dr. Sommerfeldt wird dagegen praktisch nur von seinen Patienten kontrolliert. Und wenn er denen was gutes tut, ihnen mit Verständnis und großzügigen Krankschreibungen begegnet, ist er für sie Gott.
Für viele sind Sie heute vor allem der Mann, der die Ostfriesenkrimis schreibt. Dabei sind Sie ja tatsächlich sehr vielseitig, haben bereits Literaturpreise gewonnen, Kinder- und Jugendbücher geschrieben, Drehbücher verfasst, Theater gemacht.
Bettina Göschl: Er hat sogar in einem Kindermusical, „Piraten Jenny und Käpt’n Rotbart“, mitgespielt, das ich für den Kinderkanal KiKA geschrieben habe. In Bremerhaven haben wird das gedreht.
K.P. Wolf (lacht): Bettina war die wilde Sängerin, die versucht hat, den verblödeten König zu stürzen. Das war ich.
Hätten Sie denn auch mal Lust, in den Verfilmungen Ihrer Bücher eine größere Rolle zu spielen und nicht nur einen Cameo-Auftritt, wie es bei „Ostfriesenkiller“ der Fall war?
K.P. Wolf: Die schlagen sowas ja auch manchmal vor, aber ich schreibe noch nicht mal mehr die Drehbücher selbst, obwohl ich ja auch Drehbuchautor bin. Das schaffe ich einfach nicht mehr. Ich schreibe zwei Kriminalromane im Jahr, außerdem verfasse ich mit Bettina zusammen Kinderbücher und wir haben bis zu 200 Auftritte jährlich im Rahmen von Lesungen. Ursprünglich wurde mir beim ZDF vorgeschlagen, die Drehbücher zu den Romanen selbst zu schreiben. Auf irgendwas musste ich aber verzichten, weil es sonst einfach zu viel geworden wäre, und da es sich beim Drehbuchschreiben vor allem um pures Handwerk handelt, das auch jemand anderer ausführen kann, habe ich da dann abgewunken. Romane muss ich ja schon selbst schreiben, und auch bei Lesungen kann ich niemand anderen schicken. Die Filmfirma hat mich aber als Berater engagiert, so dass ich bei Fragen dem Team zur Verfügung stehe.
Kann man sagen, dass alle Filme nach Ihren Büchern auch nach Ihren Vorstellungen entstanden sind.
K.P. Wolf: Bisher auf jeden Fall. Der erste war ja „Ostfriesenkiller“, ein unglaublicher Erfolg mit 8 Millionen Zuschauern.
Bettina Göschl: Die zwei neuen Filme, „Ostfriesenblut“ und „Ostfriesensünde“, wurden innerhalb von 44 Drehtagen „back to back“, also gleichzeitig realisiert, was eine hohe Anforderung an das Team darstellte. Wir haben die Rohschnittfassungen gesehen, die sind wunderbar geworden und wir beide sind sehr zufrieden damit.
Wird Christiane Paul wieder die Rolle der Ann Katrin Klaasen übernehmen und wie gefällt sie Ihnen in der Rolle?
K.P. Wolf: Wir haben uns sehr gut mit ihr und auch mit allen anderen verstanden, sie hat das sehr gut gemacht. Natürlich ist sie auch in den nächsten beiden Filmen wieder dabei. Das gilt übrigens fast für die komplette Besetzung der Hauptrollen und auch für den Stab.
Hat das ZDF die Rechte all Ihrer Bücher zum Verfilmen im Paket erworben?
K.P. Wolf (lacht): Nee, das hätten die wohl gerne! Die müssen die Rechte jedes einzelnen Romans erwerben, denn ich möchte sicher gehen, dass tatsächlich auch nur meine Geschichten verfilmt werden. Die wollen natürlich gerne die Figurenrechte kaufen, damit sie irgendwann eigene Geschichten mit diesen Figuren verfilmen können und mit ihnen machen können, was sie wollen. Bei „Wilsberg“ haben die das zum Beispiel so gemacht.
Die Verlage und Autoren haben in diesen Fällen blauäugig, um nicht zu sagen Geldgierig, alle diese Rechte verkauft, und haben dann keinen Einfluss mehr. Die Folge davon kann natürlich sein, dass irgendwann alle Leute einen Fernsehcharakter wie zum Beispiel Wilsberg kennen, aber kein Mensch kennt die Romane, die dann auch dementsprechend selten gekauft werden. Das wird es bei mir nicht geben. Die müssen auch zukünftig die Rechte an den Romanen kaufen und dürfen nur meine Geschichten verfilmen.
Kennen Sie das Problem von Schreibblockaden?
K.P. Wolf: Ich kenne viele Kollegen, die damit kämpfen, die auch zu mir kommen und mit mir darüber reden möchten. Ich selbst kenne das nicht, ich muss im Fluss bleiben. Ich muss meine Ideen immer loswerden, muss sie aufschreiben. Ich habe eine Idee, und die muss ich sofort zu Papier bringen, erst dann kann ich mich wieder auf Dinge wie zum Beispiel das ‚Auto fahren‘ vernünftig konzentrieren. So läuft das bei mir.
Sie legen ja mit zwei Kriminalromanen und mehren Kinder- und Jugendbüchern im Jahr ein ordentliches Pensum vor. Schreiben Sie da an mehreren Büchern gleichzeitig und machen Sie sich ein Konzept für einen Roman, zum Beispiel mit Karten oder ähnlichem?
K.P. Wolf: Nein, ich habe meist meine nächsten fünf bis sechs Romane komplett im Kopf. Jedes Buch schreibe ich in der korrekten Reihenfolge von Zeile eins bis zum Schluss durch, und zwar mit einem Füller in eine Kladde. Ich schreibe immer nur an einem Buch, schließe das ab und beginne dann mit dem nächsten. Und meine Lebensgefährtin Bettina weiß, wenn sie mich in Ruhe schreiben lässt, dann hat sie einen netten, ausgeglichenen Partner. Für mich war das Schreiben immer eine Leidenschaft, eine Notwendigkeit. Wenn man mich länger daran hindert, zu schreiben, komme ich ins Ungleichgewicht. In gewisser Weise erschließe ich mir auch die Realität durch das Schreiben. Deshalb gibt es in meinen Romanen auch immer so viele real existierende Orte und Personen. Wissen Sie, es gibt Leute, die sagen, wir kommen nach Norden-Norddeich und bewegen uns dort wie in einer literarischen Kulisse, so als hätte ich das alles aufgebaut. Dabei war es ja immer da, ich habe es nur erzählt.
Wenn Sie so viele Geschichten im Kopf mit sich herumtragen, kann es nicht passieren, dass Sie Dinge quasi durcheinanderkegeln, das heißt Handlungsteile oder Figuren in dem einen Roman verarbeiten, die eigentlich in den anderen gehören?
K.P. Wolf: Nein, das passiert nicht, denn wenn ich schreibe, begebe ich mich immer in die Perspektive einer Figur. Ich bin in dem Moment nicht Klaus-Peter Wolf, sondern Rupert, oder Weller. Und nur aus dieser Sicht erzähle ich. Der weiß über die Probleme meines Alltags nichts, der hat einen Mord aufzuklären, oder aber Beziehungsstress, den ich nicht habe. Bettina kriegt das mit und hat auch ein Lied darüber gemacht („Wenn mein Mann einen neuen Krimi schreibt“).
Selbst, wenn ich gerade nicht schreibe, kann es sein, dass ich mich auch im wirklichen Leben als eine andere Person gebe, denn im Kopf geht ja die Geschichte weiter. Ich habe alle meine Charaktere im Kopf, brauche nicht wie viele Kollegen Karteikarten oder ähnliches. Wenn man in der Figur, also quasi die Figur selbst ist, macht man da auch keine Fehler. Als auktorialer („allwissender“) Erzähler kann man in dieser Hinsicht natürlich leicht scheitern.
Sie beide schreiben ja auch Kinder- und Jugendbücher gemeinsam. Wie funktioniert denn da die Arbeitsteilung zwischen Ihnen?
Bettina Göschl: Wir sitzen dann beide zusammen und diskutieren über die Geschichte, aber natürlich tippt nur einer, und das bin meistens ich. Dann diskutieren wir wieder, und eventuell ändere ich nochmal was.
K.P. Wolf: Wir sitzen dabei immer in einem Raum und machen alles zusammen. Wir sind auch permanent im Gespräch. Vor allem die Arbeit für unsere Reihe „Nordseedetektive“ ist immer ein Spaß. Da arbeiten wir inzwischen an Band 7, denn die Reihe ist ein großer Erfolg und wird vor allem auch an Schulen gerne gelesen. Selbst Lesemuffel, die den ersten Band dann quasi zwangsweise lesen müssen, kaufen sich oft den Rest der Serie. Wir wollen sie an einer Stelle packen, wo es auch cool wird für sie, zu lesen.
Bettina Göschl: Die Kinder bemalen oder bedrucken sogar T-Shirts zu den Nordseedetektiven oder auch den Ostfriesenkrimis. Oder sie schreiben Referate in der Schule oder schicken uns Leserpost. Die freuen sich einfach auf den nächsten Band.
K.P. Wolf: Bei den Kinderbüchern ist es übrigens wichtig, dass sich viele Dinge in Lachen auflösen. Die müssen zwar spannend erzählt werden, aber die jungen Leserinnen und Leser sollen auch keine Angst bekommen. Mord ist deshalb als Verbrechen in den Kinderbüchern tabu. Spannungsliteratur für Kinder ist sehr schwer zu schreiben.
Bettina Göschl: Außerdem sind die Täter bei uns immer auch ein bisschen doof und wirken nicht so bedrohlich. Die Kinder sind ihnen vom Intellekt her meist weit überlegen.
Frau Göschl, würden Sie denn auch mal einen Erwachsenenkrimi schreiben, oder möglicherweise auch Sie beide gemeinsam?
Bettina Göschl: Nein, ich bin, was das Schreiben angeht, im Moment eher auf der Kinderschiene unterwegs. Ich schreibe inzwischen ja zumindest Lieder für Erwachsene. Das ist für mich im Moment neu, macht mir aber sehr viel Freude. Literarisch könnte ich mir vorstellen, mal was im Bereich Fantasy zu machen, aber dann eben auch für Kinder oder Jugendliche.
K.P. Wolf: Immerhin ist sie ja schon eine Figur in meinen Kriminalromanen – sie taucht ja immer mal wieder als eine Freundin von Ann Kathrin Klaasen auf.
Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch.