Der Knast. Über wenige Orte in Deutschland gibt es so viele Vorurteile und Halbwissen wie über die Welt hinter Schwedischen Gardinen.
Dieser Ansicht ist zumindest Joe Bausch. Seit 26 Jahren verbringt er einen Großteil seiner Zeit völlig freiwillig im „Schrank“, wie der Knast unter Eingeweihten oft genannt wird – Bausch ist seit 1986 Arzt in der Justizvollzuganstalt Werl. Darüber hinaus ist er als Autor tätig, vielen jedoch am besten bekannt als Schauspieler durch seine populäre Rolle des brummigen Gerichtsmediziners Dr. Joseph Roth im Kölner Tatort. Joe Bausch war jetzt auf Einladung der Gemeinde Schalksmühle und der Bücherei Schalksmühle in der ausverkaufen Festhalle Spormecke zu Gast. Mitgebracht hatte er sein bereits 2013 veröffentlichtes, aber noch immer sehr erfolgreiches Buch „Knast“ (erschienen im Ullstein-Verlag).
Als „Hausarzt von Mördern, Totschlägern, Vergewaltigern, Kinderschändern, Erpressern, Betrügern und Dieben“ erhält Bausch bei seiner Arbeit Einblicke in das Knast-Leben, die den meisten Menschen verborgen bleiben. Er geniest das Vertrauen der Gefängnisinsassen, die ihm Einblick in ihre Sorgen, Nöte und Ängste geben. „Fernsehdokumentationen vermitteln nur ein gefiltertes Bild vom Knastleben“, weiß der Autor, der während des gesamten Abends nur wenig vorlas, dafür aber eine Menge zu erzählen hatte. Ihm selbst habe schon oft das Fernsehen bei seiner Arbeit über die Schulter geschaut, aber es gebe für eine Berichterstattung im Knast viele Hürden, so der Gefängnisarzt.
Ferdinand von Schirach gab Tipps zur Anonymisierung
Nicht jeder Anstaltsleiter sei damit einverstanden, dass jemand mit Kamerateam in seine Einrichtung komme, und nicht jeder Gefangene sei geeignet für die Kamera. „Manche wollen nicht, anderen mangelt es an sprachlichen oder intellektuellen Fähigkeiten, wieder andere wollen zwar, aber müssen vor ihrer eigenen Courage geschützt werden“, weiß Bausch. „Sie sind sich nicht bewusst, dass die Sendung zum Beispiel wiederholt werden kann, wenn sie schon längst entlassen sind und nicht jeder wissen soll, dass sie mal ‚im Schrank‘ waren.“ Ferner träfen auch die Sender eine Auswahl bei Interviews mit Gefangenen. Die Kamera könne somit den tatsächlichen Knastalltag kaum vermitteln.
„Ein Buch kann das aber“, meint Bausch, der als Autor vor dem Problem stand, seine ärztliche Schweigepflicht beachten und auch die Persönlichkeitsrechte von Insassen und Angehörigen wahren zu müssen. „Irgendwann traf ich dann den Autor Ferdinand von Schirach, der in seinen Büchern regelmäßig über Verbrechen schreibt“, erinnert sich Bausch. „Der erklärte mir, wie ich die Fälle anonymisieren kann.“ Mit teilweise galligem Humor, aber stets authentisch und direkt schildert der Autor seine Knast-Geschichten wie die von dem Gefängniswärter, der an einem einzigen Tag 823 mal Türen auf- oder zuschließt, beschreibt den typischen Knastgeruch als eine Mischung aus Bohnerwachs, Eintopf und Zigarettenrauch oder berichtet von der Hölle, zu der für einen Kriminellen der Aufenthalt in einer Gemeinschaftszelle werden kann. „Da passiert es auch schweren Jungs ab und an, dass der Zellengenosse härter ist als sie selbst.“
Dramatisches und trauriges
Zu den vielen unterhaltsamen Geschichten, die Bausch in seinem ärztlichen Alltag erlebt, gesellen sich viele extrem dramatische und traurige: Da ist die Mutter, die ihr neu geborenes Kind tötete oder der ehemalige Kindersoldat, der aufgrund seiner Kriegserlebnisse kriminell wurde und unter Tränen von den erlebten Greueltaten berichtet. Gnadenlos räumt der Gefängnisarzt zudem mit mancher Legende auf, die sich hartnäckig in der Bevölkerung über den Strafvollzug in Deutschland hält.
Eine Behauptung: Lebenslänglich bedeutet hierzulande meist nicht mehr als 15 Jahre Knast? „Das ist kompletter Quatsch“, versichert Bausch. „Im Schnitt sitzt ein lebenslänglich verurteilter in Deutschland 25 Jahre ein, und ich kenne sogar einen Insassen, der 47 Jahre seines Lebens im Gefängnis verbracht hat.“ Die Empörung darüber, dass Gefangene manchmal Fernseher oder Spielekonsolen auf den Zellen haben – Bausch kann sie nicht nachvollziehen: „So etwas können Gefangene nicht einfach von zuhause mitbringen, sondern müssen jahrelang dafür arbeiten, um es sich kaufen zu können. Sorgen sollte man sich um die machen, die nach Jahren noch immer in einer leeren Zelle sitzen, denn die haben oft keinen Ehrgeiz und viel Blödsinn im Kopf.“ Die Gefängnisse seien ein Spiegel unserer Gesellschaft, meint Bausch abschließend. Mit seinem Buch will er dazu animieren, sich nicht vom Strafvollzug und denen, die mit ihm Leben müssen, abzuwenden, sondern die Menschen „im Schrank“ trotz ihrer teils schlimmen Vergehen ein Stück weit verstehen zu lernen.