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So wuchtig wie ein Hieb: Es ist schwer, ein Gott zu sein

Es sind nicht nur die aufwendigen Bauten, die präzisen Einstellungen und das exzellente Schauspiel, die den Film wie einen Sog wirken lassen, es ist zuallererst die kompromisslose Inszenierung mittelalterlichen Lebens. (Foto: Bildstörung)

Es gibt Filme, die vergisst Du schon beim Gucken. Und es gibt Filme, die treffen Dich von der ersten Einstellung an wie ein Hieb: Sie sind so wuchtig, dass sie Dich im Kinosessel niederdrücken und Du keinen Gedanken mehr an etwas anderes fassen kannst und auch gar nicht fassen willst. Selbst wenn das Saallicht schon lange wieder an ist, hast du das Gesehene noch vor Augen und musst es erst einmal Stück für Stück verarbeiten. Im realen Leben ist ein wuchtiger Hieb etwas schmerzhaftes, im Kino ist er ein absoluter Glücksfall. Ein Glücksfall, weil Filme wie Aleksei Germans „Es ist schwer, ein Gott zu sein“ so einzigartig sind.

Dabei spricht nach moderner Lesart alles gegen einen Kinobesuch: Eine Lauflänge von drei Stunden, gedreht in Schwarzweiß und dann auch noch ein russischer Film. Ja, aus Russland, nicht aus Hollywood erreicht uns in diesem September ein Film, der in seiner kompromisslosen Machart so gar nicht ins Hier und Jetzt passen will. Unfassbar, dass so ein Film, so ein Werk im Jahr 2015 möglich ist. Lange Zeit schien es auch so, dass Germans letzter Film unvollendet bleibt, da er kurz vor der Fertigstellung verstarb.

Filmschaffen mit jenem von Kubrick vergleichbar

Im Westen ist German nur wenigen Cineasten bekannt, dabei kommt seinem Filmschaffen eine herausragende Bedeutung zu und ist in seiner von Besessenheit geprägten Akribie und Präzision vielleicht nur mit jenem von Stanley Kubrick vergleichbar. „Es ist schwer, ein Gott zu sein“ basiert auf dem 1964 erschienenen Science-Fiction-Roman der Strugatzki-Brüder, in dem eine Gruppe Historiker auf einen fremden Planeten entsandt wurde, der in seiner Entwicklung 800 Jahre hinter der Erde zurückliegt. Bereits damals spielte German mit dem Gedanken einer Verfilmung des Stoffes, doch es sollte 24 Jahre dauern, bis er das Projekt anging.

Nicht das kleinste Detail wurde dem Zufall überlassen

Im Herbst 2000 begannen die Dreharbeiten, die sich bis August 2006 hinzogen, so dass einige der Darsteller im Laufe der Jahre verstorben waren. Gefilmt wurden überwiegend lange, komplizierte Plansequenzen, es wurden eigens Burgen in der Nähe von Prag und in den Lenfilm-Studios errichtet. Nicht das kleinste Detail wurde bei der Rekonstruktion einer mittelalterlichen Stadt dem Zufall überlassen. Sein Sohn Aleksei German Jr. verriet, dass selbst die Schwerter im Film exakt auf dieselbe Weise hergestellt wurden wie vor 700 Jahren. Kompromiss muss für seinen Vater ein Fremdwort gewesen sein. Auch die sich anschließende Postproduktion zog sich über Jahre hin. Akribisch tüftelte German bis zu seinem Tod am 21. Februar 2013 am Schnitt und Sound des Films. Seiner Frau Svetlana Karmalita und seinem Sohn Aleksei ist es zu verdanken, dass der Film vollendet wurde. Sie setzten den noch fehlenden Schnitt und Sound nach seinen Vorgaben um, so dass der Film am 13. November 2013 auf dem Filmfestival in Rom seine Weltpremiere feiern konnte.

Es ist schwer, ein Gott zu sein | Kinotrailer from Bildstörung on Vimeo.

Statt einer Renaissance erleben die Wissenschaftler ein blutiges Pogrom

Fast zwei Jahre später kommen wir in den Genuss des Films, der uns mit einer dörflichen winterlichen Szene und der für Schneefall so typischen gedämpften Geräuschkulisse empfängt. Während die Kamera mit langsamen Schwenks die Szenerie erkundet, erläutert uns eine Stimme aus dem Off, dass es sich nicht um die Erde handelt, sondern um einen anderen Planeten, der der Erde zwar gleicht, aber um etwa 800 Jahre hinterher ist. 30 Wissenschaftler wurden von der Erde hierher entsandt, um in dieser mittelalterlichen Zivilisation die Geburt einer Renaissance hautnah miterleben zu können. Doch die Forscher, die sich unbemerkt als adlige Nachkommen lokaler Gottheiten unters Volk mischen, um die dortigen Ereignisse aufzuzeichnen und zur Erde zu übertragen, sehen sich plötzlich mit einer gänzlich anderen Entwicklung konfrontiert. Statt einer Renaissance wird die einzige Universität zerstört und Jagd auf all jene gemacht, die die dort entwickelte Denkweise lehrten und lebten: Auf Gelehrte, Bücherfreunde und talentierte Kunsthandwerker. Für die von der Erde entsandten Wissenschaftler wird dies zunehmend zum Problem, wollen sie auf keinen Umständen in das Geschehen eingreifen und einen Bewohner des Planeten töten. Wie schwierig das ist, wird exemplarisch an Don Rumata gezeigt, der hilflos mit ansehen muss, wie in der Stadt Arkanar graue Truppen ein blutiges Pogrom gegen Gelehrte und Bücherfreunde starten. Soll er dem brutalen Gemetzel einfach tatenlos zuschauen oder doch eingreifen? Es ist schwer, ein Gott zu sein…

Ein mittelalterliches Leben, das zum Himmel stinkt

Es sind nicht nur die aufwendigen Bauten, die präzisen Einstellungen und das exzellente Schauspiel, die den Film wie einen Sog wirken lassen, es ist zuallererst die kompromisslose Inszenierung mittelalterlichen Lebens. Leben im Mittelalter war selten schön, es war vor allem von Not, Armut und Elend, dem ewigen Kampf ums Überleben geprägt. Wie heißt es im Film: „Diese Stadt ist eine einzige Latrine, ein Scheißhaufen.“ Dem, der das sagt, läuft der Rotz bereits elendig lang aus der Nase übers verdreckte Gesicht, bevor er sie mit der Hand wegwischt. Dreckig ist das Leben hier bis zum Brechreiz. An der Burgmauer liegende Toiletten kennen wir heute nur blank poliert und verstaubt – märchenhaft rein wie bei Cinderella. Hier wird uns die Scheiße präsentiert, wie wir sie uns in unseren elendsten Alpträumen nie vorgestellt hätten. Ja, diese Stadt ist ein Scheißhaufen, in der einem ohne Vorwarnung in den Schritt gefasst, am After eines Hundes („Oh Mann, wie das stinkt“) gerochen oder einem Toten die Scheiße zwischen den Arschbacken herausgeholt wird, um sie einem anderen in den Mund zu stopfen. Dazu ständig der von der Küste hereinziehende Nebel und kurze heftige Regenschauer, die das Elend im Schlamm versinken lassen. Wer wollte hier Gott sein?

Ein Meisterwerk von ungeheurer Kraft

Aleksei Germans letzter Film ist ein kompromissloses Meisterwerk, das uns zeigt, welch ungeheure Kraft von einem Film ausgehen kann. Wer es schafft alle Bedenken (schwarzweiß, drei Stunden Spielzeit, aus Russland, mit Untertiteln) hinter sich zu lassen, der wird mit einem außergewöhnlichen Kinoerlebnis belohnt. Ein Lob gebührt an dieser Stelle den Filmenthusiasten Carsten Baiersdörfer und Alexander Beneke vom Kölner Verleih Bildstörung, die „Es ist schwer, ein Gott zu sein“ den Weg in unsere Kinos ebneten. Zurzeit läuft er in ausgewählten Kinos (aktuelle Spielorte), Ende des Jahres wird er auf DVD & Blu-ray veröffentlicht.

Es ist schwer, ein Gott zu sein. (Foto: Bildstörung)

Es ist schwer, ein Gott zu sein. (Foto: Bildstörung)

Bewertung 5 von 5 Punkten

Es ist schwer, ein Gott zu sein
Trudno byt bogom
Russland 2013

Dt. Kinostart 3. September 2015
Länge 170 Minuten

Regie Aleksey German
Darsteller Leonid Yarmolnik, Yuriy Tsurilo, Natalya Moteva, Aleksandr Chutko, Aleksandr Ilin, Evgeniy Gerchakov, Pyotr Merkuryev, Juris Laucinsh

Kategorie: Angeguckt, Film & TV

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In einer Ramsch-Kiste mit Taschenbüchern wurde ich, gerade mal 10 Jahre alt, fündig. Das – wie ich im Nachhinein feststellte – inkompetenteste Film-Nachschlagewerk dieser Erde, „Das Lexikon des Science-Fiction-Films“ von Roland M. Hahn, weckte mein Interesse für bewegte Bilder. Ich „zerlas“ es völlig (und auch seine nicht weniger missratenen Nachfolger über die Genres „Fantasy“ und „Horror“). Echtes Interesse für die Pop- und Rockmusik kam dagegen erst Jahre später – mit der ersten eigenen kleinen Hifi-Anlage und der CD „The Road to Hell“ von Chris Rea.

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