Angehört, Musik
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Wer braucht ein herzloses Herz? – Rroyce betätigen auf „Karoshi“ die Klaviatur der Emotionen

(Foto: Björn Othlinghaus)
Hammer: Rroyce veröffentlichen mit „Karoshi“ ihr zweites Album. (Foto: Björn Othlinghaus)

Manchmal entdeckt man gute Musik an ungewöhnlichen Orten, zum Beispiel auf einem Schrottplatz. Dort fand ein Videodreh der Dortmunder Band Rroyce statt.

Wave und Elektro-Pop mit Wurzeln in den 80ern, hörte ich, der ich über den Dreh berichten sollte – ideal für ein Kind der 80er wie mich. Obwohl das Trio, bestehend aus Carsten Kriegler (Gesang), Kay Lippka (Keys) und André Lelittko (Gitarre), schon seit einigen Jahren gemeinsam unterwegs ist, gab es bis dahin mit „Dreams & Doupts & Fears“ lediglich einen Longplayer der Band. Seit Mitte September 2016 hat sich das nun geändert. Im Gegensatz zum Debütalbum, das zwar mit einigen gelungenen Songs aufhorchen lies, jedoch noch ein wenig uneinheitlich daherkam, ist dem Trio mit „Karoshi“ ein Werk gelungen, das aufhorchen lässt, da es im Ganzen funktioniert und eben nicht nur zwei oder drei gelungene Songs enthält, die mit durchschnittlichem Material aufgefüllt werden, wie es heute leider allzu oft praktiziert wird.

Das Werk als Konzeptalbum zu bezeichnen würde vielleicht zu weit führen, aber dennoch gibt das Cover – ein Büroangestellter hat sich inmitten einer geometrischen Großraumbürowelt die Kugel gegeben – die Marschrichtung vor. Es geht um die bereits bei Pink Floyds „The Wall“ gestellte Frage, wo der Mensch mit seinen Emotionen und Sehnsüchten in einer zunehmend technisierten und gleichgeschalteten Welt bleibt, in der nur die reibungslose Funktion der großen Maschinerie, nicht aber das einzelne Individuum zählt.

Rotglühend und hochemotional

Dabei versteigt sich „Karoshi“ allerdings nicht in eine intellektuelle Herangehensweise, sondern präsentiert sich vielmehr rotglühend, hochemotional und eben in keiner Weise so schematisch-grau und asiatisch-rational, wie es das Artwork auf den ersten Blick – eben bevor man das bemitleidenswerte Selbstmordopfer neben ein paar Blutspritzern, die den einzigen Farbtupfer darstellen, entdeckt hat – suggerieren könnte. Nach der Erkenntnis im Opener „The Principle of Grace“, dass alles Schöne irgendwann sterben muss, ertränkt die Band in „Who Needs“ den Herzschmerz in opulenten, raumfüllenden Electro-Klängen.

„Wer braucht ein Herz, wenn doch das Herz ein so herzloses Ding ist“ fragt Carsten Kriegler in jenem ausladenden Pathos, der sich durch viele Songs des Albums zieht und den man natürlich mögen muss, um das Werk goutieren zu können. Minimalismus ala Kraftwerk steht nicht auf der Agenda des Dortmunder Trios – wer diese Art elektronischer Musik sucht, ist hier definitiv fehl am Platz. Assoziative Bilder wie der „Pyroclastic Flow“ symbolisieren immer wieder den Versuch, einer kalten und tristen Welt einen Sturm der Emotionen entgegenzusetzen. Darum, wie schwer es ist, nicht „mit den Schafen“ zu rennen, geht es dagegen in dem treibenden „Running With The Sheep“, das den Hörer wie auf einer musikalischen Welle mitreißt.

Carsten Kriegler und André Lelittko auf der CD-Relaese-Party in Bochum-Langendreer. (Foto: Björn Othlinghaus)

Carsten Kriegler und André Lelittko auf der CD-Relaese-Party in Bochum-Langendreer. (Foto: Björn Othlinghaus)

Gerade in diesem Song kommt die eine oder andere Parallele zur Band Depeche Mode, hier zum Song „I Just Can’t Get Enough“, zum tragen, doch Plagiatsvorwürfe, die inzwischen gelegentlich aus den Tiefen des Internets zu hören sind, ziehen in diesem Falle nicht. Die Parallelen zu den Bands der 80er stellen in aller Regel lediglich Denkanstöße dar, die von den Musikern auf eigene, individuelle Weise zuende gedacht werden. Umrahmt ist „Karoshi“, das als Gesamtwerk funktioniert und kaum echte Aussetzer aufweist, von einer brillanten Produktion, die sich selbst auf einer günstigen Anlage – wie zum Beispiel der in meinen Auto – großartig anhört.

rroyce-karoshi_cover-kopie1Sicher könnten Puristen anmerken, das Album sei überproduziert, doch die Opulenz dieser elektronischen Musik passt hervorragend zu der Atmosphäre des Albums und den emotionalen Inhalten, die es transportiert. Wer Wave und Elektro-Pop per se öde und nicht mehr zeitgemäß findet, der wird wohl auch an diesem Album keine Freude finden. Allen anderen sei es dagegen wärmstens ans herzlose Herz gelegt.

Anspiel-Tipp: „Who Needs“, „One, Two, Three, Four“, „Running With The Sheep“
Bewertung: 4 von 5 Punkten

Kategorie: Angehört, Musik

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In einer Ramsch-Kiste mit Taschenbüchern wurde ich, gerade mal 10 Jahre alt, fündig. Das – wie ich im Nachhinein feststellte – inkompetenteste Film-Nachschlagewerk dieser Erde, „Das Lexikon des Science-Fiction-Films“ von Roland M. Hahn, weckte mein Interesse für bewegte Bilder. Ich „zerlas“ es völlig (und auch seine nicht weniger missratenen Nachfolger über die Genres „Fantasy“ und „Horror“). Echtes Interesse für die Pop- und Rockmusik kam dagegen erst Jahre später – mit der ersten eigenen kleinen Hifi-Anlage und der CD „The Road to Hell“ von Chris Rea.

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